DGB/Constantin Timm
Die Autorin und Feministin Svenja Gräfen ist im Februar unser Role Model im Themenmonat "Sexismus".
Wäre es nicht so traurig, könnte ich eigentlich darüber lachen: Kaum wird das Thema sexualisierte Gewalt und Belästigung endlich zumindest so ein bisschen enttabuisiert, schon schießen überall Artikel, Bücher und sonstige Quengeleien aus dem Boden, die sich darüber echauffieren, dass jetzt nicht mehr geflirtet werden darf. Als wäre das Flirten untrennbar mit sexualisierter Gewalt verbunden. Ich müsse diese allgemeine Verunsicherung doch verstehen, wird mir gesagt, Männer fühlen sich momentan einfach diskriminiert, außerdem sind sie hochgradig verängstigt, denn sie wollen kein Trash, sie wollen nicht das Problem sein. #notallmen! Aber ich kann’s nicht verstehen, wirklich nicht, denn es ist doch eigentlich so einfach. Das Geheimnis lautet schlicht und ergreifend: Es ist möglich zu flirten, ohne sich dabei wie ein übergriffiges Arschloch zu verhalten. Man kann das einfach sein lassen. Aber von vorn.
Machen wir uns nichts vor, ich bin wahrlich keine Flirt- und Datingexpertin. Weder flirte ich besonders viel noch bin ich besonders gut darin, im Gegenteil: Ich bin ziemlich schlecht. Flirty Nachrichten, Augenkontakt, Smalltalk, ich bin eine Niete in all diesen Angelegenheiten, egal ob online oder offline. Zu meinen wildesten Zeiten entwickelte ich daher eine Strategie, um schneller und unkomplizierter zum Punkt zu kommen. Fand ich eine Person gut, trank ich einen Schnaps und fragte sie anschließend, ob sie womöglich Lust hätte zu knutschen. Daraufhin trat entweder Fall A ein – die Person sagte ja, okay, und wir knutschten, oder Fall B – die Person sagte nein danke, lieber nicht – und wir knutschten nicht. End of story. Ich bewahrte mir bei diesem durchaus heiklen Manöver nämlich einen Rest Selbstachtung und übte mich zudem darin, andere Menschen und deren Grenzen zu respektieren. Eine Person lehnt ab? Fein, das ist ihr gutes Recht, und ich werde den Teufel tun, mich zum Volldepp zu machen, indem ich nicht lockerlasse und ein zweites, drittes und zehntes Mal frage, ob sie inzwischen nicht vielleicht doch knutschen will. Ohne, dass ich mir damals so richtig darüber bewusst gewesen wäre – und obwohl ich eigentlich eine Niete darin bin! –, kannte ich also bereits mit zarten zwanzig Jahren das Geheimnis des feministischen Flirts: Selbstachtung + Respekt + Konsens.
Feministisches Flirten hat nämlich sehr viel weniger mit Raketenwissenschaft als vielmehr mit einem Mindestmaß an Menschenverstand zu tun. Dieser Menschenverstand besagt beispielsweise, dass ich fremde Menschen nicht ungefragt anfasse. Erst recht nicht mit meiner Zunge. Dass ich sie außerdem nicht anstarre, nicht verfolge, nicht vollquatsche, wenn sie offensichtlich nicht an einem Gespräch interessiert sind, dass ich ihnen kein Getränk aufschwatze, wenn sie keins wollen, dass ich sie nicht beleidige und sie außerdem, wenn gewünscht, in Ruhe lasse. Kurz: Ich respektiere andere Menschen und deren Grenzen. Mit diesem Merksatz in der Tasche kann dann auch eigentlich schon losgezogen werden, sogar im Jahr 2019, sogar nach #metoo! Und darüberhinaus ist sogar alles erlaubt – wirklich alles – solange es konsensual ist. Wenn ich mir nicht sicher bin, ob etwas konsensual ist, dann frage ich nach. Wenn dabei herauskommt, dass es nicht konsensual ist, dann höre ich auf. (Und wenn ich das nicht gebacken kriege, dann vermeide ich Zwischenmenschliches gefälligst solange, bis ich es gelernt habe.)
Die Frage sollte also nicht lauten, ob Flirten denn heutzutage überhaupt noch erlaubt ist, sondern vielmehr, was wir überhaupt unter Flirten verstehen. Ungefragtes Antatschen beispielsweise ist kein Flirten. Und war es auch noch nie! Das Entblößen der Genitalien im öffentlichen Nahverkehr sowie das unaufgeforderte Versenden von Dickpics ebenso wenig. Wie oft lautet die Antwort auf die Frage, wie sich ein glücklich verknalltes Pärchen bloß kennengelernt hat, denn schon: »Ach, er hat mir praktischerweise erstmal ein Foto von seinem Penis geschickt, wie herbe romantisch, da hab ich gleich um seine Hand angehalten!«?? Richtig: Nie. Never ever. Ganz ehrlich, wenn der Feminismus™ es tatsächlich geschafft haben sollte, diese Art des Flirtens (die keine Art des Flirtens ist!) zu zerstören, dann können wir uns allesamt nur selig in die Arme fallen, aber leider sind, so meine Vermutung, nicht einmal alle Feminismen dieser Welt zusammen fähig, selbige von übergriffigen Arschlöchern zu befreien. Ist ja vielleicht auch eine beruhigende Nachricht für all jene, die sich sorgen, dass diese heutzutage so verbreiteten Feminismen unkontrollierbar auf sie einwirken und sie zu anderen Menschen machen – diese Feminismen zeigen bloß auf, dass sämtliche Geschlechter dasselbe Mindestmaß an Respekt und Raum verdienen. Umsetzen muss man das dann aber schon noch selbst.
Habe ich das mit dem einvernehmlichen Flirten schließlich geschafft und treffe mich mit meinem Flirt zum Date, bleiben natürlich noch immer haufenweise Fragen: Wer zahlt die Rechnung und wenn ja, weshalb? Bin ich eine schlechte Feministin, wenn ich mich von einem Mann einladen lasse? Und ist der Mann ignorant oder fortschrittlich, wenn er mich nicht einlädt?
Um ehrlich zu sein – ich glaube, solche Fragen werden überhaupt nur gestellt, weil die meisten von uns noch immer viel zu doll in verinnerlichten Rollenklischees festhängen. Denken wir an ein Date, so denken wir an Kerzenschein, Restaurantbesuch, Mann und Frau. Classic. Dabei heißt Dating gar nicht automatisch Restaurantbesuch und Konsum, und Kerzenschein ist auch nicht die offizielle Definition von Romantik. Und davon abgesehen ist Dating auch weit mehr als cis- und heteronormative Zweisamkeit.
Haben wir uns aber tatsächlich dazu entschieden, gemeinsam eine Unternehmung zu starten, an deren Ende eine Rechnung zu bezahlen ist, sollten wir versuchen, uns selbst und auch einander andere Fragen zu stellen. Warum zum Beispiel wäre es ein Problem, wenn einfach jede*r für sich selbst zahlt? Warum zahlt nicht einfach die Person, die mehr Cash dabei oder soeben eine Gehaltserhöhung bekommen hat – unabhängig ihres Geschlechts? Warum spendieren nicht beide abwechselnd die jeweils nächste Runde Drinks? Warum machen wir es uns nicht einfacher und kommunizieren klarer, statt zu versuchen, irgendetwas aus dem halbherzigen Herumnesteln am Geldbeutel herauszulesen? Überhaupt sollten wir das Finanzielle vom Zwischenmenschlichen loskopplen: Wenn ich einer Person eine Portion Spaghetti kaufe, dann schuldet sie mir nichts. Wenn die Person ihre Spaghetti gern selbst zahlen möchte, heißt das nicht automatisch, dass sie mich scheiße findet. Und Überraschung: Auch, um einander wissen zu lassen, wie man sich so findet, eignet sich Kommunikation sehr viel besser als die Überinterpretation uneindeutiger Gesten.
Letztlich ist natürlich auch an dieser Stelle alles erlaubt, solange es einvernehmlich stattfindet. Zu fragen, ob ich jemanden einladen darf, ist nicht schwer. Ein Nein zu akzeptieren ebenfalls nicht. Und das gilt für alles, was dem Date womöglich noch folgt. Kommunizieren, im Zweifelsfall nachfragen, respektieren, genießen. Denn Letzteres funktioniert genau dann am besten, wenn sich alle Beteiligten zu einhundert Prozent wohlfühlen. Und das ist auch, was der Feminismus™ statt der großen Zerstörung des Flirtens gern erreichen will: dafür zu sorgen, dass sich dabei alle wohlfühlen können, um es so zu einer noch spaßigeren Angelegenheit zu machen. Yay!