Geht es um die Gleichstellung der Geschlechter, sind sich die meisten einig: Frauen sollen die gleichen Chancen wie Männer haben – ob bei der Berufswahl, der Karriere, beim Entgelt oder der Rente. Und trozudem: Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt weiterhin massiv benachteiligt. Welche Auswirkungen hat das auf die späteren Phasen des Lebens?
DGB/Simone M. Neumann
Immer mehr Frauen in Deutschland sind erwerbstätig, sie machen statistisch gesehen die besseren Schulabschlüsse und besuchen etwas häufiger eine Univeristät oder Fachhochschule. Doch mit 18 Prozent hat Deutschland auch 2021 noch einen der höchsten Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in der EU. Das alles wirkt sich natürlich auch auf später Lebensphasen, z. B. die Rentenzeit aus. Deutschland hat mit 53 Prozent das höchste geschlechterbedingte Rentengefälle (Gender Pension Gap) der EU. Frauen erhalten am Ende ihres Lebens also nicht einmal halb so viel Rente wie Männer. Über eine eigenständige Existenzsicherung, vor allem im Alter, verfügen also wenige Frauen in Deutschland.
Warum aber bestehen noch immer solch große Ungleichheitsstrukturen zwischen den Geschlechtern? Eine der Hauptursachen ist die Prekarisierung des Arbeitsmarktes. Zwar sind immer mehr Frauen in Beschäftigungsverhältnissen, jedoch besteht eine höhere Unsicherheit durch Befristungen, ungewollte Teilzeit und niedrige Löhne (übrigens auch das ist ein struktureller Grund dafür, dass Frauen überproportional vom Mindestlohn profitieren!). Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge sind rund ein Drittel der rund 7,5 Millionen Mini-Jobber*innen in Deutschland Frauen. Besonders für sie ist der Mini-Job aber eine Sackgasse, weil ihnen nur selten der Sprung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis gelingt. Ein Grund dafür sind auch die fehlenden Betreuungsplätze für Kinder und die hohen Hürden für Frauen beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Es sind nämlich auch im 21. Jahrhundert immer noch überwiegend die Frauen, die den Großteil der anfallenden Haus- und Familienarbeit (auch Sorgearbeit bzw. Care Arbeit genannt) übernehmen. Über den gesamten Lebenslauf betrachtet, lassen sich viele Einflussgrößen identifizieren, die den Erwerb eines existenzsichernden Einkommens gefährden können.
Die erste Hürde auf dem Weg zu einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit ist die Wahl des Studienfachs oder Ausbildungsberufs. Frauen halten trotz eines breiten Angebots häufig an klassischen Rollenbildern fest und entscheiden sich weiterhin für Studienfächer und Berufe, die traditionell als „frauentypisch“ gelten. Leider werden gerade diese Tätigkeiten, etwa im sozialen Bereich (Erziehung, Gesundheit oder Bildung) oder im Dienstleistungssektor (Gebäudereinigung, Friseur*innen) gesellschaftlich schlechter bewertet und vergütet als z. B. technische Berufe. Diese so genannte horizontale Segregation benachteiligt Frauen in der Bezahlung, unter anderem weil die genannten Branchen oft nicht von Tarifverträgen erreicht werden. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung hat ein Instrument entwickelt, mit dem inhaltlich unterschiedliche Berufe hinsichtlich ihrer Arbeitsanforderungen und -belastungen verglichen werden können. Diese Untersuchung zeig, dass weiblich dominierte Berufe – gemessen an ihren Anforderungen und Belastungen – häufig unterdurchschnittlich bezahlt werden.
Hinter der Bezeichnung vertikaler Segregation versteckt sich eine weitere Diskriminierung: Frauen sind selten in Führungspositionen zu finden. So sind zum Beispiel Managementpositionen nur zu einem Fünftel mit Frauen besetzt. Hinzu kommt eine Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern – auch bei gleicher beruflicher Position. Aus all diesen Faktoren entsteht der so genannte Gender Pay Gap von 18 Prozent in Deutschland. Die häufig niedrigere Bezahlung der Frauen hängt unmittelbar mit dem Umfang der Erwerbstätigkeit, also dem Arbeitsvolumen zusammen. Während die meisten Männer Vollzeit arbeiten (nur jeder zehnte Mann arbeitet in Teilzeit), ist fast jede zweite Frau in Teilzeit beschäftigt - deutlich mehr als der europäische Durchschnitt. Daraus ergibt sich ein Gesamtunterschied von acht Stunden pro Woche - der sogenannte Gender Time Gap.
Auch die Kontinuität der Erwerbstätigkeit hat Einfluss auf die Erwerbs- und Einkommenschancen und somit auf die eigenständige Existenzsicherung der Frauen - und die eigene Absicherung im Alter. Bleiben Phasen der Nicht- oder Teilzeiterwerbstätigkeit im Lebensverlauf ein kurzzeitiges Phänomen, sind kaum Nachteile zu befürchten. Anders bei längeren Unterbrechungen.. Da Frauen häufiger und länger Kindererziehungszeiten und/oder Pflegezeiten für Angehörige beanspruchen als ihre männlichen Partner und so dem Arbeitsmarkt häufiger und länger fern bleiben, sinken ihre Chancen auf eine langfristig existenzsichernde Beschäftigung.
Gelingt schon in der Erwerbsphase keine eigenständige Existenzsicherung, ist Altersarmut vorprogrammiert. Besonders in den alten Bundesländern gibt es einen hohen Anteil an Frauen, die mit ihrer Renten nicht das Niveau der Grundsicherung erreichen. In Deutschland beträgt der Gender Pension Gap 53%, d. h. Frauen erhalten im Alter durchschnittlich weniger als die Hälfte der Alterssicherung, die Männer erhalten. Von einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen kann also keine Rede sein.
Übrigens: Der Gender Pension Gap ist in den neuen Bundesländern um einiges niedriger als in den alten Bundesländern. Das liegt v. a. dass in der BRD das „Einverdienermodell“ vorherrschend war: der Mann arbeitete, die Frau bleib Zuhause - in der DDR war es üblich, dass beide Elternteile erwerbstätig waren und dementsprechend eigene Rentenansprüche erwarben.
Um die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen zu fördern, brauchen wir beides: gesellschaftliches Umdenken und politisches Handeln. Gewerkschaften haben die Problemlage längst erkannt. Voraussetzung dafür ist u. a. der Ausbau einer qualitativ hochwertigen Betreuungsinfrastruktur für Kinder und Pflegebedürftige. Mit dem Rechtsanspruch auf die Rückkehr aus Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung ist eine gewerkschaftliche Forderung politisch umgesetzt worden, von der vor allem Frauen profitieren - ebenso wie vom Mindestlohn, der weiter erhöht werden sollte. Darüber hinaus müssen Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis zu überprüfen und Frauen auf allen Hierarchie-Ebenen zu fördern. Gesellschaftliches Umdenken sollte vor allem auch bei der Verteilung von Sorgearbeit stattfinden. Hausarbeit und Kinderbetreuung ist nicht nur Frauensache, sondern geht alle an! Mit dem Ausbau des Elterngeldes und der Elternzeit ist damit ein wichtiger Schritt getan worden - der DGB fordert aber auch eine Freistellung von Vätern direkt nach der Geburt, um eine partnerschaftliche Aufteilung direkt von Anfang an zu fördern. Damit Frauen die Möglichkeit haben, auf eigenen Beinen zu stehen - auch im Alter!