Deutscher Gewerkschaftsbund

Feminar-Doku: "Single Moms Unite! Praktische Tipps und was sich ändern muss"

Home Schooling, Home Office, Kontaktbeschränkungen und für viele auch finanzielle Sorgen – die Pandemie belastet Familien ganz besonders. Vor allem gefordert sind aber Ein-Eltern-Familien, also Alleinerziehende.

In unserem Feminar „Single Moms Unite! Praktische Tipps und was sich ändern muss“ sprechen wir mit unserer Expertin Christine Finke darüber, was sich strukturell ändern muss, damit die Lebensrealitäten von Alleinerziehenden stärker in politische Entscheidungen einbezogen werden. Hier findet ihr die Aufzeichnung des Feminars und die FAQs als Liste und zum Download.

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Infos & FAQ zum Thema

Zum Download: FAQ zum Feminar "Single Moms Unite!"

FAQ zum Feminar "Single Moms Unite! Praktische Tipps und was sich ändern muss"

Alleinerziehende in Deutschland - ein Überblick:

  • Wie viele Alleinerziehende gibt es in Deutschland?

    In Deutschland leben 1,5 Mio. Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren. Betrachtet man die Alleinerziehenden mit Kindern über 18, die mit ihnen in einem Haushalt leben, sind es ca. 2,5 Mio. – der Großteil davon sind Mütter (1,3 Mio. mit Kindern u18 bzw. 2,2 Mio. mit Kindern ü18). Die Zahl der alleinerziehenden Väter ist vergleichsweise gering (181.000 mit Kindern u18, 407.000 mit Kindern ü18). Auffällig ist, dass alleinerziehende Väter oft ältere Kinder betreuen, was sich natürlich auf die Art und Menge der Organisation, Care Arbeit und Verantwortung auswirkt, die die alleinerziehende Person hat. Insgesamt wachsen 2,1 Mio. Kinder in Deutschland in Alleinerziehenden-Haushalten auf – das sind 16 Prozent aller Kinder. Damit ist jede fünfte Familie eine mit einem Elternteil, der sich kümmert. Alleinerziehende und Kinder, die bei einem Elternteil aufwachsen und leben, sind also keine Randgruppe!

  • Wie viele Kinder haben Alleinerziehende im Durchschnitt?

    Alleinerziehende haben zu 67 Prozent nur ein Kind – ähnlich ist es bei den Lebensgemeinschaften. Demgegenüber haben Ehepaare häufiger zwei Kinder oder mehr. Nur 8 Prozent der Alleinerziehenden haben drei Kinder – das ist also eher die Ausnahme, und unsere Expertin Christine ist als Mutter von drei Kindern eine von ihnen.

  • Was wissen wir über die Beziehung von Kindern zum "anderen" Elternteil und zu der zwischen getrennten Eltern?

    Christine nennt zu Beginn einige Zahlen, die die Beziehung zwischen Kindern und dem anderen Elternteil deutlich machen. Es ist wichtig anzumerken, dass keine dieser Zahlen etwas über die Art der Beziehung aussagt, also ob es ein gewünschter, guter und konfliktfreier Kontakt ist. Ein Fünftel bis ein Viertel der Kinder hat keinen Kontakt zu einem Elternteil, knapp ein Viertel der Elternteile haben keinen Kontakt zum anderen Elternteil. Von den Eltern, die Kontakt haben, empfinden 75 Prozent diesen als normal bis gut (also empfindet ein Viertel der Eltern den Kontakt als nicht gut und belastend).

    10 bis 15 Prozent der Trennungen sind „hochstrittig“, ziehen also einen Gerichtsprozess oder sogenannten „Rosenkrieg“ nach sich. Studien zeigen, dass mindestens die Hälfte davon einen Gewalthintergrund hat, was Kinder wie Eltern traumatisiert und oft weitere Rechtsstreitigkeiten mit sich bringt.

  • Christines Input zu Beginn des Feminars

    Bei allen Gemeinsamkeiten sind Alleinerziehende eine diverse und keine homogene Gruppe. Das macht Christine am Anfang ihres Inputs deutlich. Sie geht auf unterschiedliche Rahmenbedingungen und individuelle Voraussetzungen ein, die Alleinerziehende haben – denn auch Alleinerziehende sitzen nicht alle im selben Boot. Soziale Rahmenbedingungen haben Auswirkungen auf die Kraft und Gesundheit einer Person, auf das Wohlbefinden nicht nur der*des Alleinerziehenden, sondern aller Familienmitglieder und natürlich auf die weitere Entwicklung des Lebens: beruflicher Erfolg, Teilhabe am öffentlichen Leben, aber auch Altersarmut. Die äußeren Umstände – oder wie Christine es in ihrem Beispiel nennt „Bedrohungslage“ – sind für jede*n Alleinerziehende*n andere: Einige müssen sich mit einer*m Expartner*in vor Gericht auseinandersetzen und ggf. Kosten für Anwält*innen aufbringen. Wieder andere haben Schulden oder gesundheitliche Probleme. Die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben ist gerade für Alleinerziehende ein Balanceakt. Auch die Wohnsituation ist für Alleinerziehende und ihre Familien oft besonders brenzlig: vielen fehlen Rückzugsmöglichkeiten, anderen eine gute Anbindung an Schule oder Arbeitsplatz, weil innerstädtischer Wohnraum knapp und teuer ist. Neben der fehlenden Zeit für sich selbst (Alleinerziehende sind schließlich alleine für drei Jobs (Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Kindererziehung) zuständig) haben viele Alleinerziehende finanzielle Sorgen, da ein Einkommen für eine ganze Familie oft nicht ausreicht. Das Armutsrisiko in Alleinerziehenden-Familien ist oft besonders hoch.

    Christine wirft aber auch einen Blick auf die politischen Rahmenbedingungen, die außerhalb der individuellen Voraussetzungen und des persönlichen Kontexts liegen, aber diese Bereiche beeinflussen: Politische Rahmenbedingungen, in denen Alleinerziehende übersehen, vergessen und sogar diskriminiert werden, können zu Überlastung oder Burn-Out führen.

    Christine macht gleich zu Beginn darauf aufmerksam, welch enorme Leistung und Kraftanstrengung Alleinerziehende täglich schaffen – und trotzdem fühlen viele sich unzureichend, als hätten sie nicht genug getan. Die Verantwortung, die Alleinerziehende tragen, ist jedoch für jede*n Alleinerziehende*n enorm – egal mit wie vielen Kindern, welche individuellen Voraussetzungen die Kinder haben und wie sie im Alltag (schon) unterstützen können, und welche Rolle der andere Elternteil spielt.

    Eltern von Kindern mit Behinderungen sind besonders häufig von Trennungen betroffen und in den meisten Fällen bleiben Kinder danach bei der Mutter. Warum das so ist, lässt sich wahrscheinlich zum Teil mit Rollenbildern erklären. Ob das so sein muss, sei mal dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass es unter den Alleinerziehenden eine besonders hohe Zahl von Müttern mit Kindern gibt, die eine Behinderung haben. Oft bedeutet dies weitere finanzielle Herausforderungen oder zusätzliche administrative, organisatorische und mentale Herausforderungen: beispielsweise der regelmäßige Besuch bei Ämtern, die Suche nach der passenden Schule für ein Kind mit Behinderung und nicht zuletzt der Umgang mit Diskriminierung, die Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft immer noch viel zu häufig erfahren.

    Christine ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Alleinerziehende drei Jobs alleine machen. Sie stellen das Familieneinkommen sicher, sie übernehmen die Kindererziehung und alles drum herum: von Ärzt*innenterminen, Elternabenden undemotionaler Unterstützung bis hin zu Freizeitgestaltung und Wochenendplanung. Zusätzlich schmeißen sie den Haushalt einer ganzen Familie oft alleine. Was verdient also die alleinerziehende Frau? Neben wirtschaftlicher Unabhängigkeit, wie wir im Projekt sagen würden, auf jeden Fall eine Menge Respekt!

I. Vereinbarkeit

  • Wie ist "alleinerziehend" eigentlich definiert?

    Die Definition ist relativ simpel erklärt: Sobald ein erwachsener Elternteil mit einem Kind alleine in einem Haushalt gemeldet ist und kein weiterer Elternteil in diesem Haushalt wohnt, gilt der Haushalt als alleinerziehend.

    Aber Achtung! Sobald eine weitere erwachsene Person mit im Haushalt wohnt, auch bei WGs oder Freund*innen, die zusammenleben, gilt der Haushalt nach dieser Definition nicht mehr als „alleinerziehend“. Wenn nicht gewisse Vorkehrungen getroffen werden, also zum Beispiel nicht nachgewiesen wird, dass die Erwachsenen „getrennt wirtschaften“, wird der Haushalt als sogenannte „Bedarfsgemeinschaft“ behandelt, was steuerliche und finanzielle Auswirkungen hat. Die Definition bildet natürlich auch nicht ab, ob Eltern sich die Kindererziehung und das Sorgerecht teilen – denn auch beim Wechselmodell ist ein Kind nur an einem Ort gemeldet, „wechselt“ aber regelmäßig den Aufenthaltsort zwischen den Wohnungen beider Elternteile.

  • Stigmatisierung und Vorurteile, mit denen Alleinerziehende zu kämpfen haben

    In Deutschland denken die meisten Menschen beim Stichwort „Familie“ immer noch an ein traditionelles Bild von Familie. Dieses Bild muss aufgebrochen werden – denn eine Familie besteht nicht zwingend aus Mutter, Vater und Kind(ern). Es gibt Patchworkfamilien, Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Eltern oder Familien, in denen Freund*innen gemeinsam Kinder erziehen. Tendenz steigend. Christine sagt, dass es in Zukunft immer weniger Familien geben wird, „wie sie im Buche stehen“, sondern dass Familien immer diverser werden und es schon sind – genau wie Alleinerziehende unterschiedlich sind, sind auch nicht alle Familien gleich!

    Ein Stigma das viele Alleinerziehende begleitet ist, dass die meisten Menschen davon ausgehen, dass Alleinerziehende „weniger gute Eltern sind“. So wird von ihnen erwartet, dass sie ihr Leben weniger gut auf die Reihe bekommen, weniger organisiert sind und ihre Kinder dadurch Nachteile erfahren. So werden zum Beispiel bestimmte Eigenschaften der Kinder direkt als Folge auf das alleinerziehend sein geschoben. Dabei sind das reine Vorurteile und ob ein Kind „besonders laut oder ruhig ist“, kann wohl auf weitaus mehr Faktoren zurückzuführen sein.

    Ein weiterer Punkt, der Christine aufregt: dass „alleinerziehend sein“ viele Arbeitgeber*innen abschreckt – dabei sind Alleinerziehende doch geübt im Verantwortung tragen, darin, unter Stress und Druck zu funktionieren und Prioritäten zu setzen. Alles Qualitäten, die in einer kapitalistischen Welt Voraussetzung für Arbeitnehmer*innen zu sein scheinen. ;-)

    Die meisten Leute merken erst, was Alleinerziehende leisten, wenn sie zum Beispiel eine Woche alleine auf Kinder aufpassen, weil der andere Elternteil alleine verreist ist. Das ist natürlich vollkommen verständlich – jede*r hat seine eigene Lebensrealität. Die Anerkennung, die Alleinerziehende verdient haben, kann aber nur wirklich kommen, wenn andere verstehen, was sie leisten und was es bedeutet, alleinerziehend zu sein. Deshalb: Sprecht über eure Situation und sucht euch aktiv Unterstützung, wenn ihr diese braucht.

  • Kann ich durchsetzen, dass der andere Elternteil sich auch kümmern muss?

    Das andere Elternteil gerichtlich zu zwingen, sich ebenfalls um die gemeinsamen Kinder zu kümmern, ist bisher nicht wirklich möglich. Es gibt zwar einzelne Urteile, in denen ein Umgang mit dem anderen Elternteil erwirkt werden konnte, aber um das „flächendeckender“ möglich zu machen, bräuchte es das Wechselmodell als Leitbild, sagt Christine – jedoch sieht sie das Wechselmodell auch kritisch (s. nächste Frage).

  • Was ist das „Wechselmodell“ – und ist es automatisch gut für Familien?

    Beim sogenannten „Wechselmodell“ leben die Kinder nach der Trennung ihrer Eltern in beiden Haushalten – indem sie in regelmäßigen Abständen (z. B. wöchentlich) „wechseln“. Voraussetzung, dass dieses Wechseln klappt, ist eine gute Kommunikation zwischen den Eltern – aber die ist oft nicht gegeben. Auch der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, VAMV, sieht das Wechselmodell als gemeingültiges Leitbild daher kritisch (z.B. hier). Es ist eben nicht für alle Eltern und alle Kinder möglich oder wünschenswert, wöchentlich zwischen den Eltern hin und her zu wechseln. Ein Argument von Befürworter*innen des Wechselmodells ist, dass es gut für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen sein kann – was aber nur bedingt stimmt. Natürlich kann eine Frau, deren Kinder jede zweite Woche bei dem*der Ex-Partner*in sind, jede zweite Woche in Vollzeit arbeiten. In den anderen Wochen ist das aber vielleicht schwieriger – nicht jede*r Arbeitgeber*in macht das mit, weshalb sich viele Alleinerziehende trotz „freier“ Wochen für Teilzeitarbeit entscheiden.

  • Hast du konkrete Tipps, um Kinder, Beruf und eigenes Leben unter einen Hut zu bringen?

    Christine würde ihrem früheren Ich den Tipp geben, möglichst früh und möglichst gute Netzwerke zu bilden. Am besten sind Netzwerke vor Ort, mit Personen, die die eigene Situation nachvollziehen oder die in bestimmten Situationen unter die Arme greifen können. Aber auch die Whatsapp-Gruppe mit Freund*innen, um sich einfach mal auszuk*tzen kann hilfreich sein. Christines Appell an euch: Sucht euch andere Alleinerziehende in eurer Umgebung, die eure Situation verstehen und wissen, wann es „brennt“ und wann es Zeit ist, euch zu helfen. Und fragt ruhig nach Hilfe – wir können und müssen nicht immer alles nur alleine schaffen.

    Für Alleinerziehende ebenfalls hilfreich ist die Randzeitenbetreuung, ein Angebot, dass es in einigen Städten, z.T. noch als Pilotprojekt, z.T. schon etabliert, gibt: Dafür kommt morgens vor der Schule oder dem Kindergarten eine Person direkt nach Hause, oder holt die Kinder nachmittags von dort ab – um alleinerziehenden Müttern (oder Vätern) zu ermöglichen, ein paar mehr Stunden ihrer Erwerbsarbeit nachzugehen.

    Natürlich gelten für jedes Alter der Kinder andere Tipps, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern: im Kita-Alter sind Kinder meistens noch gut betreut, auch in den Nachmittagsstunden. Sobald sie in die Schule kommen, sind viele Kinder „nur noch“ bis zum Mittagessen betreut, außerdem fallen Hausaufgaben an, bei denen die Eltern unterstützen sollen und Freizeitaktivitäten, die organisiert und geplant werden müssen. Eine Ganztagsbetreuung auch für Kinder im Schulalter ist daher maßgeblich, gerade für Alleinerziehende. Übrigens fordert auch der DGB einen Rechtsanspruch auf Ganzstagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter - ein Vorhaben, das eigentlich noch vor der Bundestagswahl 2021 umgesetzt werden sollte, kurz vorher (im Juni 2021) aber vom Bundesrat gestoppt wurde.

    Weitere Plattformen zum Vernetzen und Informieren findet ihr in Christines Link-Sammlung (s. unten).

II. Finanzen

  • Wie sieht die finanzielle Situation von Alleinerziehenden aus?

    Die finanzielle Situation der meisten Alleinerziehenden ist prekär. Das zeigen auch Studien, die die Armutsgefährdung verschiedener Personengruppen untersuchen: Durchschnittlich 43 Prozent der Alleinerziehenden sind einkommensarm – an dieser Zahl ändert sich seit Jahren nichts. Je mehr Kinder, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Alleinerziehende arm sind.

  • Wohnraum ist teuer – gerade für Alleinerziehende. Hast du (Finanz-)Tipps?

    Ein großer Kostenpunkt, der sich bei Familien, in denen nur eine Person das Familieneinkommen erwirtschaften muss, besonders bemerkbar macht, ist das Wohnen. Wohnraum ist zu teuer – und gerade Alleinerziehende geben einen Großteil ihres Gehalts alleine für die Wohnung aus: viele zahlen monatlich 40 bis 50 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Miete. Jede vierte Alleinerziehende hat kein eigenes Zimmer, sondern schläft im Wohnzimmer oder teilt sich mit einem Kind das Schlafzimmer. Das zehrt an den eigenen Kräften und wirkt sich auf den Gesundheitszustand aus. Im Corona-Lockdown, der u.a. Home Office und Home Schooling mit sich brachte, wurde die (Wohn)-Situation vieler Alleinerziehender nochmal auf die Probe gestellt: oft fehlte ein eigener Schreibtisch (ganz zu schweigen von einem separaten Arbeitszimmer) oder eigene Zimmer für die Kinder, in denen der Unterricht online verfolgt werden konnte.

    Christines Tipp: Prüft, ob ihr einen Wohnberechtigungsschein bekommen könnt – wenn ihr nämlich aus eurer Wohnung raus müsst, kann es sein dass es schnell gehen muss und an eine neue Bleibe zu kommen ist vielerorts nicht einfach. Wenn der Wohnberechtigungsschein dann schon vorliegt, spart das viel Zeit und Ressourcen. Wenn es irgendwie geht (räumlich, zwischenmenschlich, finanziell), kann eine WG toll sein – die Wohnkosten können geteilt und gleichzeitig auch der Alltag ein Stückweit zusammen gemeistert werden.

III. (Mentale) Gesundheit

  • Mental Load – wie bewältige ich ihn besser?

    „Mental Load“, also „mentale Belastung”, bezeichnet die Belastung, die durch das Organisieren von verschiedenen Alltagsaufgaben einhergeht. Neben den „offensichtlichen“ Aufgaben – also den tatsächlichen To Dos – wie zur Schule oder Kita bringen, Einkaufen, Nachmittagsgestaltung oder Hausaufgaben erledigen, fallen jeden Tag viele kleinere und größere Dinge an, die organisiert werden müssen: Die Winterschuhe der letzten Saison sind zu klein, es müssen neue her, der Termin bei der Zahnärztin muss gemacht, das Geschenk für den Kindergeburtstag am Wochenende besorgt werden – und bei Oma könnte frau sich eigentlich auch mal wieder melden. Die meisten dieser Aufgaben sind unsichtbar, sie passieren scheinbar nebenbei – sind aber so wichtig für einen funktionierenden Alltag und kommen zu den klassischen Aufgaben, die sowieso schon mit Erwerbsarbeit und Hausarbeit einhergehen, hinzu. Natürlich rutscht da mal was durch. Christine sagt, dass sie auch lernen musste, gnädig mit sich selbst zu sein – meistens hat sie ja an 95 Prozent der Dinge gedacht – und zwar alleine!

    Christines Tipp, um nichts zu vergessen und den Überblick zu behalten: Sie hat eine große Tafel in ihrer Wohnung, auf die sie Dinge schreibt, an die sie denken muss. Natürlich organisiert sie in echt noch viel mehr Sachen, als die, die sie dort aufschreibt (und wegwischt, sobald sie erledigt sind), aber so sind sie zumindest mal notiert und fürs erste aus dem Kopf. Auch gut: durch die Tafel sehen alle, die im Haushalt leben, wie viele Dinge es gibt, an die gedacht werden muss.

    Für manche Alleinerziehende ist eine Mutter-Kind-Kur eine gute Sache, um dem Alltag für eine gewisse Zeit zu entkommen und vielleicht den Kopf etwas freier zu bekommen. Nicht alle sind von dem Konzept überzeugt, aber bei verschiedenen Beratungsstellen (das Müttergenesungswerk, aber auch das Deutsche Rote Kreuz, die AWO oder die Caritas beraten dazu) könnt ihr euch Informationen holen, ob eine Mutter-Kind-Kur für euch in Frage kommt und ob das etwas für euch und eure Kinder ist. Christine empfiehlt in jedem Fall, euch vorher zu informieren, wo ihr hin möchtet: Kennt ihr andere Mütter, die schon mal eine Kur gemacht haben, waren sie zufrieden oder würden sie einen anderen Ort empfehlen?

    In unserem Feminar „Unsichtbarer Stress?!“ sprechen wir mit Laura Fröhlich über Mental Load – und welche Tipps sie hat, damit umzugehen. Weitere Lektüre-Tipps zum Thema Mental Load findet ihr in Christines Link Liste.

IV. Was muss sich politisch ändern?

  • Christine, wo und wie bist du politisch aktiv – und wäre das auch was für mich?

    Christine sagt von sich selbst, dass sie zwar immer (bundes-)politisch interessiert und informiert war, aber mit Kommunalpolitik nicht viel am Hut hatte. Bis sie ca. 2012 angerufen und gefragt wurde, ob sie sich vorstellen kann, sich in einer Wähler*innenvereinigung zu engagieren. Nach einigen Tagen Bedenkzeit und einer Google-Recherche (Was ist und macht überhaupt ein Gemeinderat? – diese Frage hat Christine sich vorher noch nicht wirklich gestellt), beschloss sie, zu den Treffen zu gehen – und letztlich die Wähler*innenvereinigung mitzugründen. Christine ist heute also Gründungsmitglied der Vereinigung „Junges Forum Konstanz“, die (keine Partei ist, aber) im Gemeinderat Konstanz mitmischen. Sie sagt, dass sie ihre Stadt dadurch heute mit ganz anderen Augen sieht, weil sie weiß, wie und durch wen Entscheidungen getroffen werden. Sie versteht heute besser, warum manche Sachen lange dauern oder welche Wege es geben kann, Themen durchzusetzen. Außerdem sagt Christine, dass Bundespolitiker*innen unbedingt auch diese Erfahrungen haben und wissen sollten, wie es in den Ländern, Städten und Kommunen in Deutschland zugeht und welche Themen die Menschen beschäftigen.

    Christine erzählt außerdem, dass Alleinerziehende in der Konstanzer Politik viel mehr mitgedacht und „anders gesehen“ werden, seitdem sie als Aktivistin für Alleinerziehende im Gemeinderat sitzt. Ihr Appell: Wer kann, sollte laut sein, sich einbringen, Netzwerke bilden – damit auch strukturell etwas passiert und andere auf die Situation von Solo-Eltern aufmerksam(er) werden.

    Übrigens: Christine und ihre Politik-Kolleg*innen haben beschlossen, Kinderbetreuung (bzw. die Finanzierung dieser durch Babysitter*innen) während der Gremiensitzungen zu gewährleisten. Das erleichtert vielen Eltern und gerade Alleinerziehenden die Teilnahme an diesen Sitzungen und damit die Teilhabe an Politik. Noch ist dies aber nicht überall möglich und oft müssen Eltern für dieses Recht kämpfen und Überzeugungsarbeit leisten.

  • Was muss sich ändern, um die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern?

    Beim Thema Sorgerecht fordert Christine, dass derjenigen Person, die den Alltag von Kindern maßgeblich gestaltet (also die alleinerziehende Person) auch mehr Rechte eingestanden werden sollten. Es gibt immer noch Bereiche, bei denen beide Eltern unterschreiben bzw. zustimmen müssen – solange sie sich das Sorgerecht teilen. Das kann mühsam sein, wenn ein Elternteil nicht mit dem anderen kommunizieren möchte, sich nicht kümmern oder den Alltag des*der anderen aktiv erschweren will. Ein Beispiel: Wenn ein Elternteil sagt, dass das gemeinsame Kind nicht länger als bis 13 Uhr in die Kita gehen soll, weil das der eigenen Meinung nach besser für das Kind sei, kann der Elternteil, bei dem das Kind maßgeblich lebt, das Kind nicht „eigenmächtig“ länger in die Kita schicken – obwohl der erste Elternteil sich nicht kümmert. Auch Jahre nach einer Trennung kann sich eine alleinerziehende Person nicht ohne Unterschrift des anderen Elternteils ummelden (z. B. nach einem Umzug). Alleinerziehenden wird also oft die eigene Unabhängigkeit erschwert. Das sind Probleme, die viele Alleinerziehende tatsächlich haben und bei denen ein flexibleres Sorgerecht Abhilfe schaffen könnte.

    Für Christine ist auch das Thema Schutz vor Gewalt sehr wichtig. Dafür muss z.B. die Istanbul Konvention umgesetzt werden, außerdem sollte Gewaltschutz Vorrang vor dem Umgangsrecht haben. Auch dass Kinderrechte ins Grundgesetz gehören, ist für Christine ein Politikum, das dringend umgesetzt werden muss.

    Auch beim Unterhaltsrecht sieht Christine einige Baustellen. Viele Alleinerziehende erhalten keinen oder zu wenig Unterhalt vom anderen Elternteil. Auch, wenn es mittlerweile die Möglichkeit des Unterhaltsvorschusses gibt, sollten Alleinerziehende hier besser unterstützt werden. Der staatlich gezahlte Unterhaltsvorschuss sollte zudem erhöht werden (auf die Höhe des Mindestunterhalts, laut Christine, da hierbei das Kindergeld gegengerechnet wird (beim vom anderen Elternteil gezahlten Unterhalt nicht). Auch eine Kindergrundsicherung würde gerade Alleinerziehende besonders unterstützen (hier findet ihr die aktuellen DGB Forderungen für eine solche Kindergrundsicherung).

    Sobald das erste Kind volljährig wird und eigenes Geld verdient, z.B. durch einen Nebenjob, gilt dies als eine zweite Person, die zum Haushaltseinkommen beiträgt – das volljährige Kind gilt dann also als weitere*r Familienernährer*in – das findet Christine ungerecht! Stichwort Einkommen: Auch die Kindererziehungszeiten sollten bei der Rente stärker berücksichtigt werden – für Christine war es zum Beispiel nach ihrer Trennung nicht möglich, in Vollzeit weiterzuarbeiten, obwohl sie das gerne getan hätte. Sie wird später eine geringe Rente bekommen – ein Schicksal, das sie mit vielen Alleinerziehenden teilt.

    Außerdem fordert Christine, dass das Koalitionsvorhaben, haushaltsnahe Dienstleistungen z.B. über Gutscheine zu finanzieren, auch von der nächsten Regierung angepackt und vor allem endlich durchgesetzt wird (hier findet ihr die DGB Position dazu). Eine Unterstützung im Haushalt ist praktische Entlastung, die gerade Alleinerziehenden hilft.

V. Quellen und Christines Tipps zum Vernetzen und Weiterlesen:

Vernetzung
 Literatur/Quellen:

Unsere Expertin: Dr. Christine Finke

Sprachwissenschaftlerin, Buchautorin, Speakerin und Aktivistin für Alleinerziehende

Dr. Christine Finke

WVDF/ Anna Gladkova

Christine ist Mutter dreier Kinder und betreibt den mehrfach preisgekrönten Blog „Mama arbeitet“ und setzt sich in Konstanz als Stadträtin in einer überparteilichen Wählervereinigung für Familienfreundlichkeit ein. Für dieses Engagement wurde sie 2020 vom Familienministerium mit dem Helene Weber Preis ausgezeichnet.

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