Um echte Gleichstellung zu erreichen, sollten wir alle im selben Team spielen. Deswegen holen wir uns im Feminar "Mitspieler statt Gegenspieler" die Männer mit ins Boot – unser erstes Feminar für Männer.
Unser Experte #HeForShe-Deutschland Botschafter Anıl Altıntaş gibt hilfreiche Tipps und Tricks wie Männer gute Allies (Verbündete) im Kampf für Gleichstellung sein können. Ob im Arbeitsalltag oder im Privatleben: Wie können Männer aktiv Sexismus und veralteten Rollenbildern entgegentreten? Wie sich gegen Diskriminierung starkmachen?
Zudem ist Anıl auch Experte für kritische Männlichkeit und wir wollen der Frage nachgehen, welchen Klischees und Erwartungen Männer überhaupt noch entsprechen müssen. Ganz nach dem Motto: Wann ist ein Mann ein Mann?
Für uns hat Anil schon mal einen Artikel geschrieben, nämlich zehn Tipps, wie man als Mann ein guter Ally sein kann. (Ally = Verbündeter im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit)
Die Zahlen zeigen, dass sich vielen ändern muss. Deshalb ist es für Männer wichtig zu verstehen, dass sie Teil der Lösung sind. Es ist an Zeit sich zu fragen, was bedeutet es überhaupt Macht zu haben und welche Wege es aus dieser Ungerechtigkeit geben kann.
Zwischen den Sichtweisen von Frauen und Männern gibt es beim Thema Gleichstellung große Unterschiede:
Um sich selbst diese Frage zu beantworten, schaut Anil auf seine Kindheit und fragt sich, wie er als Mann sozialisiert wurde. Welche Erwartungen hatten seine Eltern und seine Umgebung an ihn als – in seinem Fall – türkisch-muslimischen Jungen in Deutschland?
Er fragt sich: Wer war ich eigentlich? Wer sollte ich sein? Wer durfte ich nicht sein? Und welche Vorstellungen gab es über mich? Um das herauszufinden, sprach er viel mit seinem Vater über diese Themen.
Typischerweise wird ja erwartet: Erfolg im Job, Moped reparieren, Auto waschen, Naturwissenschaften, gute Fähigkeiten in Mathe, im Garten helfen, Sport, v.a. Fußball, Handwerk, gerecht und ehrlich sein, den Familiennamen weitergeben, bloß nicht weinen; allgemein also: Geld verdienen, Versorger sein, mit anpacken.
Vor allem am Beispiel Fußball lassen sich viele Erwartungen an Männer beobachten: z.B. weine nicht, sei hart im Nehmen sein, sei durchsetzungsstark, wenn’s sein muss, dann sei laut, versuche zu führen, zu dominieren und zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist beim Fußball auch Emotionalität und gewissen Körperlichkeit unter Männern in bestimmten Rahmen erlaubt, sogar mehr als in anderen Bereichen.
Viele kennen problematische Situationen, die man früher als Jugendlicher nicht reflektierte: Frauen antanzen, anflirten, auch wenn sie das nicht wollten, hinterherpfeifen, Reaktionen falsch interpretieren, Frauen und Männer in Schubladen stecken, Herrenwitze, auf dem Heimweg im Dunkeln nicht die Straßenseite wechseln, …
Es ist wichtig darüber nachzudenken: Was für eine Männlichkeit habe ich früher gelebt und was macht es mit mir heute? Es ist ein ständiger Prozess, sich immer wieder zu fragen und zu hinterfragen, also ein Bewusstsein für eigene Männlichkeit zu entwickeln, über das eigene Verhalten und über die eigene Wirkung auf andere nachzudenken.
Allyship bzw. Verbündetenschaft ist eine aktive, konsequente und anstrengende Praxis des Verlernens und Neubewertens, bei der eine Person in einer privilegierten und machtvollen Position versucht, in Solidarität mit einer weniger privilegierten Gruppe zu handeln.
„Male Allyship bedeutet aufmerksam zu sein!“ (W. Brad Johnson & David G. Smith)
Verbündetenschaft ist also aktives Tun. Jeden Tag aufmerksam zu sein, sich zu hinterfragen, sich teils von der eigenen Sozialisation zu lösen ist allerdings harte Arbeit.
Ikram Ben Said sagt: „Ein männlicher Verbündeter zu sein bedeutet nicht Räume zu besetzen und sie unsichtbar zu machen. Es bedeutet auf die Botschaften und Visionen von Frauen zu hören. Es geht nicht nur um Gleichberechtigung; es ist mehr als das. Es geht um den Abbau des patriarchalischen Systems und seiner Institutionen, die Frauen, Mädchen, trans-, intersexuelle und nicht-binäre Menschen unterdrücken. Bist du bereit dafür?“
bell hooks beschreibt die Krise so: „Die Krise der Männer ist nicht die Krise der Männlichkeit, sondern die Krise der patriarchalischen Männlichkeit. Bis wir diese Unterscheidung klarstellen, werden Männer weiterhin befürchten, dass jede Kritik am Patriarchat eine Bedrohung darstellt.“
Die Krise der Männlichkeit ist erstmal eine Krise von den Männern, die sowieso immer schon die größten Privilegien hatten, die immer schon die größte Macht hatten. Und die stellen sich jetzt die Frage, wie positioniere ich mich, wer bin ich eigentlich und wer darf ich sein in der Zeit, in der viele feministische Veränderungen passieren, aber gleichzeitig eben auch sehr viele antifeministische Backlashes.
An dem Punkt sind wir gerade: Es gibt eine Krise und einige Menschen sagen nicht „Ah, ich muss jetzt feministischer werden!“, sondern „Es muss alles wieder dahin zurück, dahin wir Männer vor 80 Jahre waren, denn das ist die eigentliche Männlichkeit“.
Doch Männer müssen sich bewusst machen, dass es eine traditionelle Männlichkeit gibt, die von patriarchalen Vorstellungen geprägt ist.
Es ist wichtig, toxische Männlichkeit nicht nur im Kontext von sexualisierter Gewalt zu sehen, sondern auch in Bezug auf das, wie Männer mit sich selbst umgehen, z.B. weniger zur Vorsorge gehen oder auf ihre Gesundheit achten.
So nennt man die Männer, die, wenn sie etwas Gutes sagen, einen „Keks“, also eine Art Belohnung, haben wollen. Dabei erwischen sich viele Männer, die beginnen, sich für Gleichstellung einzusetzen. Sie sind oft enttäuscht, wenn sie dann keinen Lob bekommen.
Anil sagte in einem Interview: „Seid nicht überrascht, wenn manche Frauen euch nicht sofort vertrauen. Noch nicht. Nicht, bis ihr beweisen könnt, dass ihr wisst, wie man richtig handelt. Männer haben eine schlechte Erfolgsbilanz. Und das ist nur fair.“
Männer sollten nicht in Räume, vor allem nicht in feministische Räume, gehen und so tun, als ob sie alles wüssten und Feminismus verstanden hätten. Es geht auch darum sich als Mann nicht so wichtig zu machen, gerade weil viele Männer mit dem Bewusstsein aufwachsen, dass nur ihre Meinung zählt. Das soll nicht heißen, dass Männer sich aus der feministischen Arbeit raushalten sollen. Aber das bewusste aktive Zuhören fängt genau hier an.
Bei Sexismus dagegen ist es dagegen wichtig nicht nur zuzuhören, sondern auch aktiv dagegenzuhalten.
Stereotype Rollenbilder prägen Kinder schon in jungen Jahren, darauf machen Organisationen wie Rose-Hellblau-Falle oder Pinkstinks aufmerksam.
Deshalb ist es wichtig sich der eigenen Vorbildfunktion bewusst zu sein und auf die Kleinigkeiten im Alltag zu achten. Welche Erwartungen stelle ich an andere und warum? Sicherlich ist es einfacher den Erwartungen entsprechen zu handeln. Andererseits sind solche Zuschreibungen auch eingrenzend und mit Druck verbunden. Wenn Jungs mit Berufsbildern wie Astronaut, Mathematiker oder Fußballer aufwachsen, alles prestigeträchtige Aufgaben, ist es an sich nicht verkehrt. Nur wird es schwierig für diejenigen, die lieber Tänzer, Friseur oder Florist werden wollen. Und natürlich befördert so ein Ungleichgewicht die Ungleichheit der Geschlechter.
Sexistische Werbung in Großbritannien ist inzwischen gesetzlich verboten. Generell wird diskutiert, ob Gender Marketing verboten werden kann. Hier wirkt Politik sinnvoll geschlechterstereotype Vorstellungen entgegen. Allerdings gibt es noch einiges zu tun.
Männer profitieren bisher oft von patriarchalen Regeln. Kritik am aktuellen System nehmen sie daher vermutlich auch als Bedrohung wahr. Zudem sind sie selbst von sexistischer Sozialisation geprägt und übernehmen die Bilder, mit denen sie aufwachsen.
Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie 2022 haben 30 % aller Männer in Deutschland ein geschossen sexistisches oder antifeministisches Weltbild.
Natürlich müssen wir als Gesellschaft kritisch über Männlichkeiten sprechen und fragen, wie Männer sich verändern können. Aber du kannst dich auch selbst fragen: Wie frei kann ich von Stereotypen leben? Wie kann ich so leben, wie ich es möchte?
Selbst Männlichkeiten sind von der patriarchalen Vorstellung betroffen. Das heißt, dass wir von einer patriarchalen Männlichkeit sprechen. Auch Männer leiden unter dem Patriachat: sie haben eine geringere Lebenserwartung, sind viel öfter von Suizid gefährdet, sie gehen weniger zur Krebsvorsorge oder generell zu Untersuchungen und rauchen viel öfter rauchen.
Es geht also nicht darum Männer zu kritisieren. Anil ist dafür, dass Männer sich auch in ihren Gefühlen, in ihren Bedürfnissen ernst nehmen. Nur so können sie eine feministische Veränderung erreichen. Wenn wir Männern immer noch sagen, sie dürften keine Gefühle äußern und sich ändern, dann bleibt alles beim Alten. Deshalb brauchen wir eine Offenheit für diese Themen.
Wenn wir unbezahlte und bezahlte Arbeit gerechter aufteilen, dann profitieren alle davon. Männer oder Väter haben mehr Zeit für ihre Kinder und tragen nicht die alleinige finanzielle Last. Die Familie hat insgesamt mehr Sicherheit, weil man sich die Verantwortung teilen kann. Gleichzeitig können Frauen wirtschaftlich unabhängig sein, indem sie Zeit für bezahlte Arbeit haben.
Am besten sprichst du es direkt an und sagst, dass du die Aussage schwierig findest. Das gilt vor allem bei Grenzüberschreitungen.
Wenn der Fall nicht so eindeutig ist, hilft es auch schon nachzufragen, wie das Gesagte gemeint war.
Das Schwierigste für Männer ist oft, sich in solchen Fällen emotional einzubringen und zu beteiligten, gerade weil sie nicht selbst betroffen sind. Hinzu kommt, dass Männer häufiger die Aussage anderer Männer ernst nehmen als die von Frauen. Hier wirkt die Sozialisierung nach. Umso wichtiger ist es, dass Männer in antifeministischen Situationen nicht schweigen.
Du kannst dich aber auch immer an Strukturen wie die Antidiskriminierungsbeauftragte oder an den Betriebsrat wenden.
Wir müssen alle Multiplikator*innen sein. Solche Veränderungen sind langwierige Prozesse. Deshalb ist es wichtig erstmal bei sich selbst anzufangen. Wie wäre es mit einer längeren Elternzeit, vielleicht sogar als erster Mann unter den Kollegen? Du kannst auch auf Social Media Personen folgen, die sich feministisch engagieren, um dich regelmäßig an Gleichstellung zu erinnern.
Interessantes Material, um Männer zu aktivieren:
Anil empfiehlt besonders diese Bücher:
Joanna Legid