- Hatespeech und Trolls, nein danke: Intro
- Hatespeech und Trolls, nein danke!: Was ist online Gewalt?
- Hatespeech und Trolls, nein danke: Geschlechtsspezifische Aspekte
- Hatespeech und Trolls, nein danke!: Handlungsoptionen
In unserem Feminar "Hatespeech und Trolls - nein, danke! So wehrst du dich gegen online Gewalt" sprechen wir mit HateAid über Anfeindungen im Internet und zeigen Strategien auf, mit denen ihr euch dagegen wehren könnt.
Digitale Gewalt trifft sowohl Personen, die in der Öffentlichkeit stehen und daher leicht in den sozialen Netzwerken zu finden sind, als auch Privatpersonen. Besonders Frauen werden durch Trolls und Shitstorms daran gehindert, sich offen im Internet zu präsentieren und für ihre Anliegen stark zu machen. Wenn sie mit Hass und Hetze rechnen müssen, sobald sie sich positionieren, werden feministische Stimmen online abnehmen.
Frauen müssen die Möglichkeit haben, sich online zu äußern und sichtbar zu sein, ohne digitale Gewalt zu befürchten!
HateAid ist die erste bundesweite Beratungsstelle für Betroffene von digitaler Gewalt in Deutschland. Die Organisation deckt drei große Säulen ab: Betroffenenberatung, Rechtsdurchsetzung und Öffentlichkeitsarbeit. HateAid kann und darf keine Rechtsberatung in Einzelfällen anbieten. Aber die Organisation unterstützt bei der Beweissicherung, damit es zu rechtlichen Schritten kommen kann, und agiert außerdem als Prozesskostenfinanzierer. Das heißt: In geeigneten Fällen übernimmt HateAid die Kosten für ein zivilrechtliches Vorgehen. Eine strafrechtliche Anzeige kann jede*r kostenlos stellen, doch falls es ein zivilrechtlicher Prozess wird, müssen die Kosten für Anwälte und den Prozess normalerweise aus eigener Tasche beglichen werden. HateAid sieht sich zudem als starke Stimme für Betroffene, da sie durch ihre Arbeit sehen, welche Probleme Betroffene haben und diese gebündelt über die Öffentlichkeitsarbeit an Behörden, Justiz, Gesellschaft und Politik weitergeben können.
Unterschiedlich. Die Beratung wird von öffentlichen Geldern finanziert. Die Prozesskostenfinanzierung finanziert sich auf Grundlage des Solidaritätsmodells. Bei schweren Grundrechtsverletzungen kann es zu einer Geldentschädigung kommen. Wenn HateAid über die Prozesskostenfinanzierung einen Fall finanziert, gibt es die Vereinbarung, dass wir die Kosten übernehmen und im Falle eines Gewinns die Geldentschädigung an unseren Fond zurück geht. So können wir weitere Prozesse finanzieren. Das ist die Idee, aber es ist kein Geheimnis, dass sich die Finanzierung so nicht trägt. Deswegen sind wir in diesem und anderen Bereichen stark auf private Klein- und Großspenden angewiesen. Die Stiftungen, die uns unterstützen, sind transparent auf unserer Homepage zu finden.
HateAid verwendet den Begriff digitale Gewalt, weil er breiter ist als beispielsweise der Begriff Hatespeech, den du sicherlich schon mal gehört hast. All diese Begriffe sind keine rechtlichen Begriffe, das heißt man findet sie in der Form nicht im Gesetz. Gewalt kann physisch und psychisch sein und überall dort passieren, wo sich Menschen austauschen und vernetzen, aber eben auch online. Beim Begriff Hatespeech gibt es eine klare Fokussierung auf das „Wort“, dabei geht es um Beleidigung oder Volksverhetzung. Doch digitale Gewalt kann auch die Veröffentlichung von Bildern gegen deinen Willen, ein Hackingangriff um deine privaten Daten zu erhalten und zu veröffentlichen sein. Digitale Gewalt kann also sehr viele verschiedene Formen annehmen.
Digitale Gewalt kann jede*n treffen, manche trifft es aber mit größer Wahrscheinlichkeit. Digitale Gewalt kann auch Personen treffen, die nicht im Netz agieren und nicht auf einer sozialen Plattform angemeldet sind. Es kann auch sein, dass du Opfer von digitaler Gewalt wirst, ohne es mitzubekommen. Natürlich steigt das Risiko, je aktiver und präsenter du bist. Studien zeigen, dass bestimmte Personen sicherer von digitaler Gewalt betroffen sind. Dazu zählen unter anderem Politiker*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und alle Personen, die schon offline diskriminiert sind. Insbesondere dann, wenn sich diese Personen zu Themen wie Klimakatastrophe, Flucht und Migration oder Feminismus und Frauenrechten äußern. Wenn Themen polarisieren, wie zum Beispiel auch die Coronakrise oder der Ukrainekonflikt, dann steigt das Risiko, Betroffene digitaler Gewalt zu werden.
Digitale Gewalt kann jede*n treffen, es trifft aber manche anders. 30 Prozent der Frauen haben Angst, dass ihre Bilder im Netz veröffentlicht werden. Frauen sind vermehrt von bildbasierter Gewalt betroffen. Das heißt, dass Bilder gegen deinen Willen veröffentlicht und verwendet werden. Anna erlebt auch in ihrer Arbeit bei HateAid, dass sie zwar nur wenig mehr Frauen die Beratung in Anspruch nehmen (58 Prozent Frauen), die Prozesskostenfinanzierung jedoch zu 72 Prozent von Frauen genutzt wird. Das hat unterschiedliche Gründe. Frauen wenden sich meistens erst später an HateAid, wenn die digitale Gewalt schon ein starkes Ausmaß angenommen hat. Sie sind oft unsicher, ob ihr Erlebnis als digitale Gewalt bezeichnet werden kann. HateAid hört außerdem oft: „Ich möchte niemandem die Ressourcen wegnehmen.“ Auch die Inhalte digitaler Gewalt unterscheiden sich in Bezug auf das Geschlecht stark. Bei Frauen, die von digitaler Gewalt betroffen sind, richten sich 27 Prozent der Inhalte gegen das Geschlecht, das Aussehen oder sind sexualisiert. 5 Prozent der Inhalte, mit denen Frauen sich an HateAid richten, sind Vergewaltigungsandrohungen. Sexualisierte digitale Gewalt ist kein Beziehungsproblem, sondern ein strukturelles Problem. 82 Prozent der HateAid Klientinnen erfahren digitale Gewalt nicht von ihren (Ex-)Partner*innen.
Hass wird oft als Strategie eingesetzt und hat entsprechende Folgen. 76 Prozent der Internetnutzer*innen geben an, schon einmal Hass im Netz gesehen zu haben. Europaweit waren 91 Prozent der 18- bis 35-jährigen bereits mehrmals Zeug*in von digitaler Gewalt. 50 Prozent sind schon selbst Opfer von Hatespeech geworden. Dadurch entsteht ein sogenannter Silencing Effekt: 54 Prozent der Internetnutzer*innen trauen sich nicht mehr, ihre politische Meinung im Netz zu äußern, da sie Angst davor haben, Opfer von Hass und Hetze zu werden.
Es sind wenige die im Internet hassen, diese hassen aber extrem viel: 5 Prozent der User*innen sind für 50 Prozent der Likes unter Hasskommentaren verantwortlich. Es ist also eine sehr kleine Gruppe, die aber unglaublich laut und aggressiv ist. So zeichnet sich das Bild eines sehr vergifteten Diskurs.
Digitale politisch motivierte Hasspostings kommen mehrheitlich von rechts. Mit dem Wissen, dass es zu einem Silencing Effekt kommen kann, sieht HateAid eine große Gefahr für die Meinungsfreiheit. Eine kleine Gruppe ist sehr laut und erzeugt damit ein Gefühl der Mehrheit. Diese Gruppe kommt mehrheitlich aus rechten und rechtsextremen Kreisen und geht gezielt gegen bestimmte Personen vor, um diese Meinungen zum verstummen zu bringen, sie aus dem Netz und dem gesamten Diskurs zu vertreiben. So können sie den Diskurs bestimmen. Das ist nicht nur eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, sondern in der Folge auch für unsere Demokratie. Beispielsweise kann es dazu führen, dass Politiker*innen glauben, dass eine Meinung mehrheitlich in der Bevölkerung geteilt wird.
Das sind Personen, die auf nichts anderes abzielen, als eben zu trollen, das heißt zu hassen und zu hetzen. Man kann unglaublich viel im Netz diskutieren und sich inhaltlich austauschen. Wenn du einem Troll gegenüberstehst, musst du das eigentlich nicht mehr machen. Ein Troll hat nur das Ziel, zu provozieren und zu eskalieren, damit du den Diskursraum verlässt.
Es gibt unterschiedliche Arten von Gewalt. Zum Beispiel physische Gewalt aber auch psychische Gewalt. Digitale Gewalt passiert im Netz. Alle Arten haben bestimmte, krasse Auswirkungen und ähneln sich in dem Aspekt. Digitale Gewalt wird manchmal belächelt. Personen sagen beispielsweise: „Das passiert ja alles nur im Netz“ oder „Ist das überhaupt eine Gewalterfahrung?“. Da sagen wir ganz klar: ja. Gewalt und Bedrohungen online lösen bei Betroffenen Unsicherheit und Bedrohungsgefühle aus. Es ist außerdem eine Übermacht. In der analogen Welt hat man als Betroffene eine Person gegenüber. Das habe ich bei digitaler Gewalt meistens nicht. Bei einem Shitstorm habe ich viele anonyme Profile vor mir, die auf mich einprasseln. Das ist eine andere Form des Gewalterlebnisses. Oft erzählen uns Betroffene, dass sie sich auch sehr allein gelassen fühlen. Wir haben diese Wand an Mehrheit im Netz, einzelne Kommentare fügen sich zu einer großen Gesamtheit an digitaler Gewalt.
Es gibt ganz viele unterschiedliche Begriffe die im Kontext von digitaler Gewalt benutzt werden. Hatespeech bezeichnet verbalen Hass und Hetze, die im Netz passiert und das Ziel hat, Hass zu verbreiten. Hasskriminalität bezeichnet Gewalt, die sich gegen Personen aufgrund eines bestimmten Charakteristikums wendet. Ich werde zum Beispiel angegriffen, weil ich eine Frau bin oder weil ich einen Migrationshintergrund habe.
FLINTA Personen werden online häufiger Opfer von Gewalt, da sie auch in der analogen Welt häufiger diskriminiert werden und Gewalt erfahren. Die Diskriminierung und Marginalisierung setzt sich im Netz fort. Hinzu kommt die Dynamik der digitalen Welt. Wenn in meinem Instagram Profil meine Geschlechtsidentität steht, dient das oft als Leinwand für Personen, die ein Problem mit Geschlechtervielfalt haben. Bereits im analogen Leben sind FLINTA aufgrund ihrer Geschlechtsidentität von Diskriminierung betroffen, im Netz verstärkt sich das, da viel mehr Personen Zugang zu anderen Personen haben. Das Risiko, von digitaler Gewalt betroffen zu werden, steigt, wenn eine FLINTA außerdem Journalistin, Politikerin oder Aktivistin ist und sich zu polarisierenden Themen wie Feminismus äußert.
Wir sehen, dass die Angst sehr, sehr hoch ist davor, Betroffene von Bild-basierter Gewalt zu werden, weil es eben diese Fälle vermehrt gegenüber FLINTA gibt. Und das umfasst auch eine riesengroße Bandbreite. Angefangen davon, dass zum Beispiel Fotos von meinem normalen Social-Media Profil einfach kopiert, gespeichert und irgendwo veröffentlicht werden. Oder ein Fake Profil mit meinem Bild, meinem vermeintlichen Namen oder auch einem anderen Namen, aber mit meinen Fotos angelegt wird, beispielsweise auch auf Dating Apps. Das kann sich dann eben auch so steigern, dass intime Fotos, entweder echte intime Fotos oder falsche intime Fotos veröffentlicht werden. Und da sind wir dann in diesem Bereich des Deep Fakes. Das heißt im Endeffekt, ich nehme einen Kopf, der auf einem Profilfoto im Netz frei verfügbar ist, kopiere und schneide ihn aus setze ihn auf einen anderen Körper. Und je nachdem wie gut das gemacht ist, kann man fast nicht mehr unterscheiden, ob das jetzt echt oder falsch ist. Das wird gerade bei FLINTA sehr oft mit pornografischen Inhalten gemacht. Sobald so ein Bild mal draußen ist, muss man damit anfangen, zu erklären „Das bin gar nicht ich, das ist ein Deep Fake. Ich weiß nicht, wo das überall ist.“ Das ist eben dieser riesengroße Bereich der bild-basierten Gewalt, die fast ausschließlich FLINTA trifft.
Also ich glaube, ein großes Problem ist sicher, dass für digitale Gewalt auch strukturell Sensibilisierung fehlt. Wir hören von Betroffenen oft, dass sie von Behörden gefragt werden „Na ja, warum äußern Sie sich denn auch so im Netz? Warum positionieren Sie sich so im Netz? Warum teilen Sie solche Fotos? Melden Sie sich doch ab, löschen Sie doch Ihren Account.“, wenn sie Anzeige erstatten wollen. Klassisches Victim Blaming einerseits, andererseits aber auch eine veraltete Vorstellung vom Netz und davon, welchen Stellenwert digitalen Räume in unserer Gesellschaft haben. Und das ist ja genau das, was wir nicht wollen. Wir wollen ja eben nicht, dass diese Personen aus dem Netz und aus Diskursräumen vertrieben werden. Das ist aber so ein bisschen die Handlungsanweisung, die oft gegeben wird. Tatsächlich geben wir die manchmal auch, aber nur in akuten Fällen. Manchmal ist es für das Bedürfnis von Ruhe oder Sicherheit wichtig, sich für ein paar Tage abzumelden. Das ist aber keine langfristige Lösung.
Zu diesem Problem der fehlenden Sensibilisierung kommt dann noch hinzu, dass FLINTA auch allgemein strukturell weniger ernst genommen werden, dass ihre Erlebnisse weniger ernst genommen werden. Beim Thema Sensibilisierung hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Wir haben natürlich das Problem, dass es sich meistens um Betroffene aus Gruppen handelt, die schon marginalisiert, kriminalisiert und diskriminiert werden und dementsprechend allein deswegen schon weniger ernst genommen werden.
Also das eine ist die Gruppe der Betroffenen selber. Da gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen. Manche sagen wirklich, ich möchte nicht mehr im Netz unterwegs sein. Das ist auch total zu respektieren. Bei manchen stellt sich eher eine „Jetzt erst recht“ Haltung ein. Sie stellen sich gut auf, da es ihnen ein wichtiges Anliegen ist. Aber es gibt eben auch diese riesengroße Gruppe, der stillen Mitlesenden, die digitale Gewalt immer und immer wieder mitbekommen. Man liest wieder von einem Shitstorm oder von einer Person, die ihr Twitter Profil ruhig stellen musste. Das konsumieren wir die ganze Zeit. Das heißt, wir nehmen den digitalen Raum schon als sehr, sehr toxisch wahr. Und wenn wir diese Fälle immer mehr sehen, in denen eben bestimmte Personen betroffen sind, weil sie zu bestimmten Themen etwas sagen oder sich positionieren, dann neigen wir halt dazu, uns bei solchen Themen auch zurückzuhalten. Und das ist eben dieser Silencing Effekt. Der betrifft ganz bestimmte Gruppen und Personen mit ihren Meinungen, die dann aus dem Diskurs vertrieben werden.
Also ich glaube, der bekannteste Fall ist wahrscheinlich der Fall von Renate Künast, der jetzt auch schon ein paar Jährchen her ist, der sich aber tatsächlich rechtlich immer noch weiterzieht. Und der war auch für unsere Arbeit wahnsinnig wichtig, auch, um darauf aufzubauen. Für die, die das nicht mehr so im Kopf haben: Frau Künast ist online massiv in einen Shitstorm geraten, weil Falschzitate über sie verbreitet wurden und immer noch werden. Aufbauend auf diese Äußerung, die sie so nie getätigt hat, kamen unglaublich viele Hasskommentare. Und damals hat dann Frau Künast gesagt, sie möchte dagegen vorgehen. Das war aber total schwierig, weil Täter eben ganz oft anonym sind. Sie hat dann bei der Plattform, da gibt es ein eigenes Verfahren dafür, die Daten angefragt. Damals war die Rechtslage noch ein bisschen anders und damit die Plattform grundsätzlich die Daten rausgeben darf oder kann, muss es sich um strafbare Inhalte handeln.
Und dann gab es eben diese unglaublich schreckliche Entscheidung eines Berliner Gerichts über 20 wirklich, wirklich schlimme Hasskommentare, die frauenfeindlich und sexistisch waren, die vom Gericht aber als nicht strafbar eingestuft wurden. Glücklicherweise ist das Verfahren dann weitergegangen und jetzt vor kurzem beim Bundesverfassungsgericht gelandet. Das hat eine sehr gute Entscheidung gefällt, nämlich das Ganze noch mal aufzurufen und das Gericht aufzufordern, das Urteil zu revidieren. Das ist total wichtig, auch für unsere Arbeit. Nach dem ersten Urteil haben sich unglaublich viele betroffene Frauen gemeldet und gefragt, ob sie ihren Fall wieder zurückziehen können. Ihre Angst ist, dass wenn schon der Fall von Frau Künast, eine Person, die viele Ressourcen hat und die selber Juristin ist, nicht ernst genommen wird, wenn ein Gericht in Deutschland sagt, dass sie solche Kommentare aushalten muss, dann müssen sie es gar nicht erst versuchen.
Und da sehen wir, was schlechte Rechtsprechung bei Betroffenen auslösen kann. Genau so gilt das Gegenteil: Wenn wir sehen, dass Fälle erfolgreich sind, wenn es Verurteilungen und Hausdurchsuchungen gibt. Dann signalisiert das Betroffenen, dass sie sich doch wehren können. Das sind jetzt die Fälle von Personen des öffentlichen Lebens, die wir begleiten. Der absolut größte Teil unserer Arbeit sind Privatpersonen. Die teilen wir nur nicht öffentlich, weil wir diese Privatpersonen nicht noch mal extra in die Öffentlichkeit zerren wollen, weil natürlich die Gefahr besteht, dass es dann wieder zu digitaler Gewalt kommt.
Da gibt es ganz viele unterschiedliche Möglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen. Es gibt die Basics, die ich auch vor meiner Arbeit jetzt ein bisschen vernachlässigt habe, wie sichere Passwörter. Und ich weiß, es ist anstrengend, wenn man nicht überall das gleiche Passwort verwenden kann. Dafür gibt es Passwort Manager und die sind wirklich zu empfehlen. Ganz oft sind es leider nicht die großen Hacking Angriffe über irgendwelche Spyware, die zu digitaler Gewalt führen, sondern es ist ein schwaches Passwort, das ich vielleicht auch mal irgendjemandem im Bekanntenkreis gegeben habe. Und wenn ich das überall verwende, dann sind halt sehr schnell alle meine Profile offen für andere Personen. Das gleiche gilt auch bei der sogenannten Zwei Faktor Authentifizierung. Bei sehr vielen Plattformen gibt es die schon. Das heißt einfach nur, dass es einen zweiten Faktor, wie zum Beispiel einen Code per SMS oder einen Code über eine eigene App, gibt, den du noch mal eingeben muss. Das heißt, wenn irgendjemand anderes dein Passwort hat, bringt ihm das noch nichts.
Das zweite ist die Profilgestaltung.Wenn es total wichtig ist, dass du präsent im Netz bist, dann ist es wichtig, darauf zu schauen, was heilig ist. Du kannst natürlich Dinge aus deinem privaten Leben teilen, aber im besten Fall teilst du nicht alles. Es ist wichtig, darauf zu achten, nichts zu teilen, das auf deinen Wohnort oder Arbeitsplatz Rückschlüsse zulässt. Wenn Menschen sich vorgenommen haben, deinen Wohnort herauszufinden, dann gehen sie durch alle Profile, analysieren Bilder und schauen, welche Straßennamen da zu finden sind und welche Geotags gegeben werden. Also, das ist dein Lieblingsrestaurant, das ist dein Lieblings Imbiss. Das sind so kleine Schnipsel an Informationen, die, wenn man sie zusammenfügt, dazu führen können, dass jemand sehr schnell rausfinden kann, wo du wohnst oder wo du arbeitest.
Und da dann kommt es manchmal leider zum sogenannten Doxing. Das beschreibt das Veröffentlichen von privaten personenbezogenen Daten. Und wenn das die Privatadresse ist, dann kann es schnell sehr ungemütlich werden und leider im schlimmsten Fall dazu führen, dass man umziehen muss. Wenn einmal die Privatadresse draußen ist, dann kann es sein, dass Personen vorbeikommen oder Bedrohungsszenarien aufbauen, durch Warenbestellungen an die Privatadresse zum Beispiel. Dann kommen auf einmal irgendwie jeden Abend 20 Pizzen. Auch das ist unglaublich übergriffig und invasiv für Betroffene. Selbst wenn es zu all diesen Übergriffen in der Realität gar nicht kommt, ist der Umstand, dass du weißst, jemand weiß, wo du wohnst, ein sehr bedrohendes Szenario, das total verunsichert. Du kannst viele Bilder von dir teilen, aber achte darauf, was man auf den Bildern sieht.
Wir raten auch, sich eine sogenannte Melderegister Sperre einrichten zu lassen, wenn es ein bestimmtes Risiko gibt. In Deutschland kann man zur Melderegister Behörde gehen und mit deinem Namen und deinem Geburtsdatum deine Privatadresse erfragen, ohne das zu begründen. Als betroffene Person kriegst du keine Informationen darüber, dass irgendjemand deine Adresse abgefragt hat. Bei der jeweiligen Meldebehörde kannst du dafür eine Sperre einrichten. Auch da sind wir schon ein bisschen mehr in der analogen Sicherheit und man sieht, dass es viele Überschneidungen gibt.
Das sind einfach die großen Themen unserer Zeit, die in den letzten Jahren stark polarisieren und von der rechten Szene eingenommen werden: die Klimakatastrophe, das Thema Flucht und Migration und vor allen Dingen, und das ist wirklich eklatant auffallend, das Thema Feminismus und Frauenrechte. Da ist auch die Täterszene etwas anders. Es gibt starke Überschneidungen von rechten Kreisen zu anderen Szenen. Die sogenannte Incel Szene gibt es ja und die wird immer wieder größer. Das ist einfach nur die Abkürzung für „Involuntary Celebate“ also unfreiwillig zölibatär lebende Personen. Und das ist eine mittlerweile total wachsende Community, die nicht immer aggressiv, übergriffig und gewaltvoll ist, da richtet sich auch sehr viel gegen die eigene Person, die aber unglaublichen Frauenhass verströmt. Sie behaupten, dass die betroffenen Personen aus der Community unfreiwillig zölibatär leben müssen, weil Frauen sie nicht als Partner wahrnehmen. Diese Community hat dann eben aber auch Überschneidungen zu der rechten Szene, durch das reaktionäre Gedankengut von klassischen Rollenbildern und klassischen Geschlechtsvorstellungen. Und dadurch, dass diese Communities mittlerweile so groß und auch so gut organisiert sind, kann es dann eben sehr schnell passieren, dass es zu einem Aufruf kommt. Also, dass einer dieser Gruppen mitbekommt, dass eine Feministin sich zu Frauenrechten äußert, das allen anderen mitteilt und einen Shitstorm organisiert.
Jein. Social Media Plattformen funktionieren ja ein bisschen wie Blasen. Gerade bei Twitter kann man sehen, dass sich ganz viel nur in bestimmten abgeschlossenen Blasen abspielt. Das heißt, du kannst schauen: Wem folge ich? Wer folgt mir? Du kannst Personen blockieren. Aber was du nie ausschließen kannst, ist dass irgendjemand über dein Profil oder deine Posts stolpert. Gerade dann, wenn du zum Beispiel mehr in der Öffentlichkeit stehst und dein Name vielleicht irgendwann erwähnt wurde, du mal bei einer Veranstaltung teilgenommen habe. Dann kannst du auf solche Listen rutschen. Und von denen kommt man de facto sehr, sehr schwer runter. Das heißt, da ist dann eigentlich viel wichtiger sich vielleicht einmal einen Notfallplan zu überlegen: Was sind die ersten Schritte? An wen kann ich mich wenden? Und ein Solidaritätsnetzwerk aufzubauen. Sehr viele Betroffene fühlen sich in der Situation wahnsinnig alleingelassen. Und gerade dann ist es zu super wichtig, dass man ein Solidaritätsnetzwerk hat, das man dann aktivieren kann. Das einerseits auch abseits von Social Media unterstützen kann, dass sich aber auch in der Öffentlichkeit solidarisiert. Das vielleicht auch bestimmte Dinge abnehmen kann und beispielsweise für zwei, drei Tage mal Zugriff zu deinem Profil hat und Sachen sichten kann, damit du dich dem nicht aussetzen muss.
Nein. Um eine Sperre zu beantragen, muss ein bestimmtes Gefährdungspotential bestehen. Das wird unterschiedlich gehandhabt, wie konkret das sein muss. Aber wenn zum Beispiel mal was vorgefallen ist, wenn du zum Beispiel schon mal Nachrichten bekommen hast, sowohl analog als auch digital, dann erwähne einfach das. Wenn das digital passiert, unterstützen wir Betroffene auch mit einem Begleitschreiben. Also dass wir als Organisation sagen, uns in der Beratung wurde mitgeteilt, dass etwas vorgefallen ist, das aus unserer Sicht digitale Gewalt ist. Und dass wir empfehlen, eine Melderegistersperre einzurichten. Also wende dich gerne an unsere Beratung, wenn du digitale Gewalt erlebt hast und wir schauen, ob das möglich ist.
Eigentlich nicht mehr wirklich. Die Frage ist, ob diese Unterscheidung noch sinnvoll ist, weil Gewalt in den meisten Fällen hybrid stattfindet. Online Gewalt hat offline meistens Auswirkungen und umgekehrt. Ein klassisches Beispiel sind Stalking Fälle, bei denen wir auch in unserer Arbeit sehen, dass sie weder nur analog oder nur digital stattfinden. In der absoluten Mehrheit der Fälle gibt es Berührungspunkte zwischen online und offline Gewalt.
Das Wichtigste: Du musst gar nichts. Es ist wichtig, darauf zu achten, was du brauchst. HateAid rät dazu, dass du dich nicht dazu drängen lässt, das Netz zu verlassen. Doch wenn du das Bedürfnis hast, das zu tun, ist das natürlich völlig legitim. Wichtig ist auf jeden Fall, in solchen Fällen auch rechtliche Schritte einzuleiten. Also Straftaten auch anzuzeigen, damit es auch zu Sanktionen gegen Täter*innen kommt und sich die Rechtsprechung sowie die Gesetzgebung ändert.
Ansonsten unterscheiden sich die Reaktionen je nach der Form der digitalen Gewalt. Bei einem Shitstorm hilft beispielsweise ein Statement, in dem du entweder erklärst, wie du deinen ursprünglichen Post gemeint hast oder noch mal betonst, dass du hinter deiner Aussage stehst. HateAid rät, nicht in kleinteilige Diskussionen zu gehen, da diese meist nichts bringen.
Da sich die Fälle digitaler Gewalt so unterscheiden, komm gerne in die Beratung, damit HateAid dich ganz spezifisch zu deinem Erlebnis beraten kann.
In akuten Fällen kommt es sehr schnell zu Überforderung, da du mit vielen Hatern konfrontierst wirst. Daher ist es sehr wichtig, aus dem Gefühl des Alleinseins heraus zu kommen. Im Idealfall hast du schon ein bestehendes Solidaritätsnetzwerk, dass du aktivieren kannst. Das kann ja auch offline sein. In den meisten Fällen hat man auch online schon ein bestimmtes Netzwerk, das man aktivieren kann. Da kannst du auf deine Situation hinweisen und sagen: Ich würde mich über eure Unterstützung freuen.
Du kannst dich aber auch als Person, die das mitbekommt, solidarisch zeigen. Es gibt oft sehr viele stille Mitlesende. Die Gruppe von Hatern wirkt riesig. Die stillen Mitlesenden denken sich, dass finde ich nicht okay, sagen das aber nicht. Das kann ich nachvollziehen, da man oft Angst davor hat, in sowas rein gezogen zu werden. Du kannst der Person aber auch eine private Nachricht schreiben und fragen, in wie weit du sie unterstützen kannst. Wenn du dafür keine Ressourcen hast, reicht auch eine Nachricht, in der du sagst, dass du siehst, was passiert und an der Seite der Betroffenen stehst.
Grundsätzlich kannst du das immer machen. In Deutschland gibt es da eine Unterscheidung und zwei Möglichkeiten Du kannst einen Kommentar oder Post melden, weil er gegen die AGB der Plattformen verstößt oder weil er gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verstößt. Es ist wichtig, bei einer Meldung den zweiten Fall zu nennen, da die Plattformen dann auch verpflichtet sind, den Post zu löschen. Die Communityregeln, also die AGBs, sind Spielregeln, die sich die Plattformen selbst gegeben haben. Dann entscheidet aber auch die Plattform selbst, ob die Posts oder Kommentare dagegen verstoßen, was sehr intransparent ist. Es gibt aber eben auch die Möglichkeit, nach NetzDG zu melden. Da sind die Plattformen verpflichtet, strafbare Inhalte innerhalb einer bestimmten Zeit zu löschen. Auch hier reagieren die Plattformen manchmal nicht nachvollziehbar, aber der Vorgang ist weniger fehleranfällig. Es ist gut, Posts oder Kommentare schnell zu melden, bevor sie immer weiter verbreitet werden. Wichtig dabei: einen Screenshot anzufertigen, bevor sie gelöscht werden. Im Idealfall einen rechtssicheren Screenshot.
Das kommt auf die Situation an. Die Gruppe „Ich bin hier“ hat sich Solidarität im Netz auf die Fahne geschrieben. Du kannst die Gruppe rufen, dann kommen die in die Kommentarspalten unter einem Post oder Zeitungsartikel und versuchen, den toxischen Diskurs wieder auf eine sachliche Ebene zu bringe. Das funktioniert gut in inhaltlichen Diskussionen, die sich langsam in eine falsche Richtung bewegen. Hier hilft es, rational zu diskutieren. Das funktioniert aber nur, so lange es keine Trolle auf der anderen Seite gibt. Mit guten Argumenten überzeugt man vielleicht nicht immer das Gegenüber, aber oft die stillen Mitlesenden. Bei Trollen hilft es eher, zu melden und löschen zu lassen. Oder du reagierst mit Sarkasmus und Ironie. Das eskaliert aber eine Situation eher nochmal mehr, kann aber eine Lösung sein, wenn du die Kommentare nicht einfach so stehen lassen möchtest.
Das hört sich schwieriger an als es ist. Du kannst ihn mit deinem Handy oder deinem Laptop machen. Wichtig sind ein paar Eckpunkte: der Inhalt muss sichtbar sein, das Profil der Person, die sich geäußert hat (im Idealfall mit Bild) sowie Datum und Uhrzeit der Veröffentlichung. Am letzten Punkt scheitert es meistens. Auf vielen Plattformen stehen unter Posts oder Kommentaren nur relative Zeitangaben, also „vor zwei Tagen“. Für einen rechtssicheren Screenshot brauchst du aber absolute Zeitangaben. Bei manchen Plattformen kannst du diese Zeitangaben sehen, wenn du mit der Maus über die relative Zeitangabe fährst. Mehr Infos dazu gibt es auch auf unserer Website. Neben Datum und Uhrzeit ist auch der Kontext wichtig. Wenn es um einen Kommentar geht, der auf eine lange Diskussion folgt, ist es also wichtig, auch die Diskussion und den Ursprungspost abzubilden.
Es gibt regional viele Möglichkeiten, Unterstützung zu erhalten. Es gibt die Meldestelle Respect, die sehr gute Arbeit macht. Es kommt aber letztlich sehr auf den Einzelfall an. Wir arbeiten auch mit unterschiedlichen Beratungsstellen zusammen, die einen unterschiedlichen Fokus haben. Bei Stalkingfällen beispielsweise mit Beratungsstellen für Stalking, da sich das eben auf online und offline Gewalt bezieht. Wenn du dir nicht sicher bist, an welche Beratungsstelle du dich wenden sollst und es einen digitalen Berührungspunkt gibt, kannst du dich auch erstmal an uns wenden. Auch wenn du bei uns nicht hundertprozentig richtig bist, helfen wir dir, das passende Beratungsangebot zu finden.
Grundsätzlich sind deine Rechte online sehr ähnlich zu deinen Rechten im analogen Leben. Wenn jemand strafbar handelt, kannst du eine Strafanzeige stellen. Neben der Möglichkeit, strafrechtlich vorzugehen, kannst du auch zivilrechtlich zu handeln, wenn deine Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Wenn deine Bilder veröffentlicht wurden. Das Strafrecht schaut stark auf die Sanktionen. Es wird Anzeige gestellt, ermittelt und am Ende erfolgt eine Verurteilung. Das Zivilrecht hat eine andere Stoßrichtung. Es geht mehr um einen Ausgleich. Du wurdest in deinen Rechten verletzt und möchtest, dass der Täter das in Zukunft unterlässt. Wenn etwas noch online ist, muss es dann gelöscht werden. Letztlich muss man sich jedoch den Einzelfall anschauen, um herauszufinden, welche Rechte und Möglichkeiten du hast.
Grundsätzlich ist die Idee des Digital Services Act eine sehr gute Idee. Das Netz macht nun mal nicht an nationalen Staatsgrenzen halt. Die Idee ist also, eine europäische Harmonisierung der Gesetze zu erreichen und einen übergreifenden Standard aufzustellen. Gleichzeitig hat europäische Gesetzgebung oft den Nachteil, dass große Player, in diesem Fall die Plattformen, die Möglichkeit haben, zu lobbyieren und ihre Interessen durchzusetzen. Das ist auch in diesem Fall passiert. Es ist trotzdem ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Eine europaweite Regelung ist gut. Für Betroffene ist aus unserer Sicht zu wenig gemacht worden. Es gibt wichtige Punkte wie die Transparenz der Plattformen in Bezug auf Algorithmen, Micro-targeting, etc. Doch gerade für weibliche Betroffene von digitaler Gewalt fehlt noch einiges. Wir haben uns stark dafür eingesetzt, dass es eine Verifizierungspflicht beim Hochladen von Videos auf Pornoplattformen gibt, da es eben viel bildbasierte Gewalt gibt. Das haben wir leider nicht erreicht. Hundertprozent zufrieden sind wir also nicht.
Es gibt viele rechtliche Punkte, die sich ändern müssen. Doch man wird nicht alles durch das Recht, das Strafrecht, ändern können. Es muss ein Umdenken und eine Sensibilisierung geben, um ein Verständnis für die Folgen von Hass und Hetze herzustellen. Wir brauchen ein Umdenken im Miteinander und im Umgang. Wie solidarisieren wir uns? Auf was achten wir? Wie kommuniziere ich im Netz? Außerdem müssen wir uns die Verantwortung der Plattformen anschauen. Für einen respektvollen Umgang im Netz braucht es eine gute Moderation. Es ist die Verantwortung der Plattformen, bestimmte Inhalte nicht stehen zu lassen, auch wenn sie viele Klicks erzeugen.
Andrea Heinsohn
Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien und der Tätigkeit als Rechtsberaterin und -vertreterin für Geflüchtete in Österreich, unterstützt Anna Wegscheider seit September 2020 HateAid als interne Juristin. Im Rahmen von Workshops und Schulungen erklärt sie unter anderem regelmäßig die gesellschaftliche Bedeutung rechtlicher Schritte gegen digitale Gewalt, welche Straftatbestände in diesem Themenkomplex besonders relevant sind und wie man effektiv gegen digitale Gewalt vorgehen kann.
Die Beratungsstelle HateAid bietet Betroffenen digitaler Gewalt ein kostenloses Beratungsangebot und Prozesskostenfinanzierung. Menschen, die online Hass und Hetze erleben, die beleidigt, verleumdet oder bedroht werden, können sich an sie wenden. Es wird allen geholfen, die selbst keinen Hass verbreiten – unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Religion, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, politischer Meinung und körperlicher Versehrtheit.