Deutscher Gewerkschaftsbund

„Wenn ihr Veränderung wollt, dann engagiert euch halt!“ Aber hat das mal jemand versucht?

von Susanne Maier

Jonglierbälle, daneben eine Frau mit dunklen Haaren

Während ich diesen Text schreibe, habe ich latente Kopfschmerzen, mein vierjähriges Kind liegt neben dem Schreibtisch auf dem Boden und schaut eine gewisse Serie mit nervigen Hunden. Es isst gefrorene Himbeeren, die ich mit viel Überzeugungskraft als „Süßigkeiten“ verkaufen konnte, weil weder mein Mann noch ich es diese Woche geschafft haben, mit Sinn und Verstand einzukaufen – auch ich trauere gerade ein bisschen einer Tafel Schokolade hinterher.

Ich bin ehrenamtlich engagiert und ich habe ein Kind. Und einen Job und eine Ehe (zwischen 21.30 und 22.30 Uhr zumindest), manchmal habe ich sogar Hobbies, sofern sie sich räumlich und zeitlich ungebunden machen lassen.

Es heißt immer „Wenn ihr Veränderung wollt, dann engagiert euch halt!“, aber hat das mal jemand versucht?

Ich war lange (und bin oft immer noch) davon überzeugt, dass Machen besser ist als Motzen. Motzend machen geht natürlich auch. Wir bekamen ein Kind und die Wucht der Ungerechtigkeiten prasselte nur so auf uns nieder. Die eigene Situation einfach durch machen im eigenen Leben zu verbessern, wurde denkbar schwer:

  • Elterngeld, das zum Leben reicht? Fehlanzeige.
  • Staatliche Unterstützung für studierende Eltern? Ohne BaFöG keine Chance.
  • Jobeinstieg mit Kleinkind? Ohne Betreuung keinen Arbeitsvertrag und ohne Arbeitsvertrag keine Betreuung. Und überhaupt, das arme Kind braucht doch seine Mama!
  • Ein Vater, der lange Elternzeit nehmen will? Äh, wie sieht das denn im Lebenslauf aus?

Rückblickend schäme ich mich ja für mein "vor-Kind-Ich", das immer dachte, Vereinbarkeit sei tatsächlich eine private Organisationsfrage. Mein "mit-Kind-Ich" hat relativ schnell bemerkt: die Arbeitswelt, Innenstädte, Züge ohne Toiletten oder auch die meisten Ehrenämter sind nicht auf die Bedürfnisse von Eltern ausgelegt – auf die Bedürfnisse von Kindern gleich doppelt nicht. Von allen Seiten werden Eltern Steine in den Weg gelegt. Und das sage ich: Weiß, Akademikerin, ohne Migrationsgeschichte, keine Behinderungen, in einer heterosexuellen Ehe mit einem tatsächlich engagierten Partner.

Eine Weile verfolgte ich die politischen Debatten um Themen rund um Gleichstellungs- und Vereinbarkeitsfragen und eins wurde schnell klar: eine Politik, die mehrheitlich von Menschen gemacht wird, die die Lebenserfahrung von Sorgepersonen gar nicht kennen, wird nicht aktiv (genug) versuchen, sie zu verbessern. Als mein Kind etwa zwei Jahre alt war, begann ich, mich im Deutschen Frauenrat für das Thema Frauenarmut zu engagieren. Denn dieses Thema eint Frauen – vor allem Mütter – wie kein anderes. Die Mehrheit von uns blickt ab der Geburt des ersten Kindes auf das nicht gerade kleine Risiko, ein Leben lang finanziell abhängig zu sein. Vom zweiten Elternteil oder vom Staat.

Ich kandidierte für einen Vorstandsposten, hielt eine Kandidaturrede und wurde von knapp 120 Delegierten auf der Mitgliederversammlung des Frauenrats 2022 in den Vorstand gewählt. Ich brauche nicht zu erwähnen, wie unfassbar nervös so ein Prozess macht. Seither ist die Lern- und Erfahrungskurve steil. Wir tagen mit dem Vorstand etwa alle sechs Wochen in Berlin. Zwischendrin leite ich den Fachausschuss „Raus aus der Armut. Teilhabe für Frauen sichern“. Dort entwickle ich gemeinsam mit acht Expertinnen Forderungen rund um verschiedene Facetten von Frauenarmut. Ich nehme hier und da politische Termine wahr, bin im Austausch mit anderen Verbänden oder treffe Abgeordnete. Das bedeutet natürlich zum einen regelmäßige Reisen quer durch die Republik – von Stuttgart aus ist tatsächlich alles weit weg – und viele nächtliche oder frühmorgendliche Lese- und Vorbereitungsstunden.

Alle Bälle in der Luft halten und permanent von äußeren Faktoren abhängig sein

Jetzt mache ich also, was Viele predigen. Statt (nur) zu motzen, nehme ich Einfluss. Ich engagiere mich für Frauen mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen und Bedürfnissen. Und ganz ehrlich: steckt man drin, wird einem erst so richtig klar wie viel mehr Commitment Mütter in so ein Engagement bringen müssen im Vergleich zum Ottonormal-Michael, der unbehelligt von Frau und Kindern seinen Ehrenämtern nachgehen kann.

Ich versuche, alle Bälle in der Luft zu halten: Kind, Job(s), Beziehung, Sozialleben, Ehrenamt und manchmal sogar so etwas wie Me-Time. Allerdings arbeiten die Bälle gegen mich. Die Kinderbetreuung fällt wie bei so Vielen von uns laufend aus und wurde nun auch bis auf weiteres gekürzt. Wenn sie nicht gerade ausfällt, ist das Kind von Oktober bis März quasi durchgehend krank. In den Jobs sind mein Mann und ich wie alle Eltern von der Gunst unserer Vorgesetzten abhängig. Mit diesen beiden Determinanten steht und fällt jede Form von ehrenamtlichem Engagement, erst recht wenn keine Familie in der Nähe ist, die sich mit kostenlosem rund-um-die-Uhr-Service um das Kind kümmern kann. Und ich bin ganz ehrlich: Ich halte NIE alle Bälle in der Luft. Irgendeiner fällt immer, manchmal auch zwei oder drei.

„Also ICH könnte das ja nicht!“ Mom Guilt inklusive

Neben den handfesten organisatorischen Herausforderungen merken mein Mann und ich immer wieder, dass wir ein Modell außerhalb jeder Rollenvorstellung leben. Die Omas überbieten sich mit Hilfsangeboten, wenn er mal wieder für zwei Tage mit dem Kind alleine ist. Würde anders herum natürlich nie passieren. Der fast schon reflexhafte erste Satz anderer Mütter auf mein Engagement? „Also ICH könnte das ja nicht!“ dicht gefolgt von „Das muss ja schwer für dein Kind sein!“ oder auch „Und dann passt echt dein Mann alleine auf das Kind auf?“ Im Kindergartenumfeld meines Kindes komme ich mir oft vor wie dieser eine Vater, der ständig auf Dienstreise ist – nur eben mit Mom Guilt.

Für alle, die sich tatsächlich fragen: Mein Kind nimmt meine Abwesenheiten übrigens mehrheitlich sehr gelassen bzw. macht keinen großen Unterschied darin, ob nun ich oder der Papa nicht da sind.

Lohnt sich das überhaupt?

Das ist eine berechtigte Frage, die für mich eine ganz klare Antwort hat: Ja!

Der Slogan „Bildet Banden!“ könnte treffender nicht sein. Jedes Mal, wenn ich für den Frauenrat unterwegs bin, egal ob auf der Mitgliederversammlung mit Delegierten aus rund 60 Mitgliedsverbänden, im Fachausschuss, den Vorstandssitzungen, auf parlamentarischen Abenden oder sonst wo, begegne ich Menschen, mit denen ich mir ein Ziel teile: Wir wollen Frauen in Deutschland und weltweit stärken. Die Wege mögen unterschiedlich sein, die Positionen bei einzelnen Fragen auch, aber den Veränderungswillen haben alle.

Ich hatte oft das Gefühl, mit meinen Wünschen rund um Geschlechtergerechtigkeit hier in der schwäbischen Provinz allein auf weiter Flur zu stehen. Ich musste erst mal nach Berlin fahren und einen ganzen Saal voller Frauen treffen, die sich genau für dieses (und viele weitere) Themen stark machen. Und klar, auch in solchen Runden bin ich meistens eine der Jüngsten, ich bin oft eine der wenigen mit kleinem Kind und nicht aus einer hippen Großstadt, aber auch hier ist Wandel drin. Engagement und Lobbyarbeit werden jünger, weiblicher, migrantischer, intersektionaler und wir können Teil davon sein.

Ich glaube: es gibt nichts Kraftvolleres als einen Raum voller Menschen, die eine Vision für eine gerechtere Welt teilen, sich gegenseitig empowern und empathisch auf einander schauen. Dieses Gefühl wünsche ich jedem Menschen, ganz besonders jeder Frau, jeder FINTA*. Darum kann auch ich nur sagen: Bildet Banden!

Eine Frau mit braunen Haaren