Hysterisch, zickig, nervig - klassische Bezeichnungen für wütende Frauen. Verständlich, dass viele Frauen ihrem Ärger keine Luft machen. Wie können wir trotz negativer Reaktionen unsere Wut zeigen? Warum sollen wir unsere Wut überhaupt zulassen? Darüber sprechen wir im Feminar "Mut zur Wut! Das Potenzial weiblicher Wut" mit Ciani-Sophia Hoeder. Die Autorin von "Wut und Böse" erklärt, warum Frauen ihre Wut häufig unterdrücken und erzählt, wie sie ihre eigene Wut entdeckte.
Wann warst du das letzte Mal richtig wütend? Frauen, die ihrer Wut freien Lauf lassen, haben schnell einen schlechten Ruf. Doch diese Wut kann eine mächtige Waffe gegen persönliche und politische Unterdrückung sein. Ciani fragt nach: Wie haben wütende Frauen Geschichte und Popkultur geprägt? Welchen Einfluss haben die Erziehung von Mädchen und der abfällige Umgang mit Sorgearbeit auf die seelische Gesundheit von Frauen? Und wie wird aus Wut Mut zur Veränderung? Alle Infos zum Buch gibt es hier.
Bei einem Schlüsselerlebnis mit ihrer Mutter, die einen sehr guten Umgang mit ihrer Wut hatte und sich im Supermarkt wütend gezeigt hat, hat Ciani verstanden: Frau sein und wütend sein hat einen hohen Preis. Es wird gesagt, sie sei selbst daran schuld, sie habe sich nicht unter Kontrolle, ihre Hormone nicht im Griff oder ähnliches. Wenn dagegen Männer wütend sind, haben sie meistens einen guten Grund. Was führte dazu, dass Ciani ihre Wut immer unterdrückte und sie eher passiv aggressiv äußerte. Sie dachte, wenn sie wütend ist, nimmt sie keiner ernst.
Und dennoch ist Wut Cianis Lieblingsemotion. Ihre These: Wir Frauen lernen, dass wir nur durch Freundlichkeit das bekommen, was wir wollen. Dabei ist Wut auch eine legitime und oft zielführende Emotion. Auch wenn die Situation dann unangenehm wird, Wut ist ein möglicher Weg ein Ziel zu erreichen. Oft kommt frau zu ihrem Recht, wenn sie den Konflikt in Kauf nimmt und ihre Wut äußert.
Cianis Recherche ergab, dass die eine Hälfte der Frauen eine gute Beziehung zu ihrer Wut hat, die andere Hälfte aber damit fremdelt. Der ersten Gruppe ist es wichtiger das zu bekommen, was sie brauchen oder ihren Protest zu äußern als sympathisch zu wirken. Der eigene Wert steht über dem Frieden in dem jeweiligen Kontext.
Wut ist eine Sekundäremotion, die eintritt, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt wird, um es zu kriegen. Sie zeigt Grenzen aus. In unserer Gesellschaft lernen Frauen schon als Mädchen, dass sie nicht wütend sein und stattdessen Frieden stiften sollen. Das heißt, wir sozialisieren aus einer Hälfte unserer Gesellschaft heraus Protest in eigener Sache zu äußern. Und das hat mit Macht und Machterhaltung zu tun.
Emotionen werden gegendert und basierend auf Stereotypen einem Geschlecht zugeschrieben. Dabei ist es sehr schwer zu unterscheiden, ob man etwas denkt, macht oder mag, weil man so sozialisiert wurde oder weil man es wirklich mag. Vielmehr als eindeutige Antworten zu finden ist es ein andauernder Prozess sich diese Fragen zu stellen. Das Ganze wird erschwert, weil man weiterhin von der heteronormativen Umgebung geprägt wird.
Es sind drei Erkenntnisse:
1. Weibliche Wut wird nicht nur anders bewertet. Man wird tatsächlich nicht ernst genommen und wirkt charakterschwach, wenn man öffentlich wütend ist. Es ist sehr demotivierend sich selbst zu sagen: „Sei wütend, aber nicht zu wütend.“
2. Wut und Wert sind stark miteinander verknüpft. Die Chefin oder der Chef z.B. kann es sich erlauben wütend zu sein, ohne den Job zu verlieren. Wenn man dagegen dank eines Jobs eine Aufenthalts-genehmigung hat, wird man da unwahrscheinlicher die eigene Wut äußern. Man muss es sich leisten können wütend zu sein. Es ist ein Privileg.
3. Diskriminierung und Wut sind stark miteinander verbunden. Je mehr Ausgrenzung ich im Alltag erlebe, desto mehr Mikroaggressionen bekomme ich zu spüren, desto wütender bin ich, aber umso mehr möchte die Gesellschaft, dass ich lieb und freundlich bin, weil ich nicht der Norm entspreche und eigentlich dankbar sein sollte.
Die Wut anderer durch bestimmte Normen zu unterdrücken ist ein Mechanismus, um diese Personen zu kontrollieren, also ein Werkzeug der Macht. Deshalb führt das Zeigen von Wut bei unterdrückten Gruppen nicht einfach zum Erfolg, es ist leider viel komplexer.
Wenn eine Frau allein wütend ist, macht sie sich sehr angreifbar. Wenn Frauen sich solidarisieren und ein Kollektiv sind, sind sie geschützter.
Fazit: Sei wütend, du darfst wütend sein. Schau, wie es sich anfühlt und in welchem Kontext du bist. Idealerweise bist du mit anderen zusammen wütend, dann machst du dich weniger angreifbar und bist geschützter. Es gilt: Bildet Banden!
Im Prinzip gibt es keinen Unterschied. Es gibt nur unterschiedliche soziologische Bewertungen.
Studien haben gezeigt, dass Frauen als unsympathisch, irrational und charakterschwach bewertet und weniger ernst genommen werden, wenn sie wütend sind. Männer dagegen wirken, wenn sie Wut ausdrücken, kompetenter, kräftiger, stärker.
Interessant ist, dass je älter eine Frau wird, desto eher wird ihr ihre Wut zugesprochen. Das hat viel mit unseren sexistischen, patriarchalen Strukturen zu tun. Das heißt, je jünger Frauen sind, desto weniger wird ihnen Wut eingeräumt, desto weniger werden sie ernst genommen.
Die Forschung zeigt, dass Männer und Frauen im Prinzip gleich viel Wut empfinden.
Frau reagieren mit Wut in erster Linie auf gesellschaftliche Benachteiligung. Männer hingehen werden am häufigsten wütend, weil sie von ihrer Partnerin nicht verstanden werden, laut Statistik.
Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, analysiert die Verschiebung der Bedeutung von Zorn und Wut, vor allem im 20. und 21. Jahrhundert. Wer darf sich Zorn oder Wut leisten und wer nicht? Welche Wut gilt unter welchen historischen Umständen als akzeptabel? (Hier geht’s zu ihrem Vortrag in der ARD Mediathek)
Historisch betrachtet haben sich Frauen gerade in Deutschland ungern als wütend gezeigt oder sich diese Emotion zugestanden, weil ihr angeblich „erregbares Gemüt“ ein Grund dafür war, weshalb sie nicht wählen durften.
Die Forschung zeigt, dass Frauen mutiger sind, wenn sie mutige Vorbilder sehen.
Leider wird die Geschichte auch aus einer heteronormativen Perspektive erzählt. Deshalb gibt es auch zu wenig weibliche Vorbilder, die bekannt sind, auch wenn das gerade für Frauen heute so wichtig ist.
Es gibt aber auch im Alltag viele Frauen, die ein Wutvorbild sein können.
Wut ist eine Sekundäremotion und sie ist ein Alarmsignal. Es ist nur natürlich, dass sie aufkommt, wenn eine Problemsituation mit anderen Mitteln nicht gelöst werden kann. Wut an sich ist erstmal unkonstruktiv.
Es ist ein Zusammenspiel aus der Beziehung zur eigenen Wut, also aus dem Verstehen, woher sie kommt und wann sie entsteht, und der Fähigkeit sie zu kommunizieren. Es ist also wichtig sich selbst gut zu kennen und auch dem Umfeld zuzutrauen, mit der eigenen Wut umzugehen.
Mache „Disclaimer“ und informiere dein, wenn es nicht gewohnt ist, dich wütend zu sehen: So, hey, Leute, ich arbeite gerade an meiner Wut. Es kann passieren, dass ich ein bisschen über das Ziel hinausschieße. Es kann auch passieren, dass ich sehr gut darin bin.
Tränen schießen in die Augen, wenn der Körper mit der starken Emotion Wut überfordert ist und noch nicht geübt ist, sie zu kanalisieren. Oder auch, wenn das eigene Umfeld noch nicht gewohnt ist, einen wütend zu erleben. Mit der Zeit sollte sich das bessern, auch wenn man selbst gelernt hat die eigene Wut in richtige Bahnen zu lenken.
Die Angst nicht ernst genommen zu werden ist aber nachvollziehbar und legitim. Das sind Ängste, die wir auch aufgrund von Erfahrungen erworben und die uns geprägt haben. Es ist also ein Abwägen in einer Situation: Wie wütend kann ich gerade werden oder wie kann ich meine Wut gerade rauslassen? Kann ich beispielsweise gekündigt werden o.ä.?
Die Lösung ist leider nicht, einfach die männliche Emotion zu imitieren. Emotionen, die Männer in unserer Gesellschaft leicht ausrücken dürfen, werden bei Frauen ganz anders gewertet. Wie auch bei Gehaltsverhandlungen, wenn Frauen als zu fordernd beurteilt werden, wenn sie genauso viel verlangen wie Männer. Bei Männern sieht man das dagegen sogar wohlwollend, nach dem Motto „Er weiß, was er will.“.
Vieles ist aber auch individuell, zum Beispiel welcher Wut-Typ man ist. Manche werden ganz rot und laut. Andere werden besonders still, was genauso angsteinflößend ist.
Dass es unangenehm ist, liegt daran, dass man nicht gewohnt ist mit diesem Gefühl umzugehen. Auch das ist Übungssache. Man kann sich fragen, wann bin ich wütend und warum ist es mir unangenehm? Hab‘ ich Angst, dass mein Umfeld mich abstößt? Stresst mich, was die anderen von mir denken? Bin ich dann weniger sympathisch?
Auch lohnt es sich „gute Wuträume“ zu suchen. Es gibt tatsächlich Räume, die man mieten kann, in denen man alles zerstören kann. Und Frauen sind die beliebtesten Kundinnen. Es könnte aber auch ein Freundeskreis sein, in dem man die Wut aussprechen und fühlen kann. Das hatten Frauen schon immer und das hat auch seinen guten Grund.
Abgesehen davon gibt es neben den gesellschaftlichen Tabus in Bezug auf Wut und Geschlecht auch individuelle Prägungen. Vieles hängt davon ab, wie ich aufgewachsen bin, welche Kulturen und Umgebungen mich beeinflusst haben. Wurde ich bestärkt, wenn ich zurecht wütend war? Oder wurde mir Zuneigung weggenommen, sobald ich wütend und bequem wurde?
Wütend zu sein ist auch eine Kunst. Es ist eine Kunst zwischen wirklich auf den Tisch hauen und begreifen, warum man wütend ist.
Nach Innen gerichtete Wut führt langfristig zur Depression. Unausgedrückte Wut richtet sich quasi gegen einen selbst. Hier hilft e,s das große Ganze zu sehen, zu verstehe: Warum bin ich wütend? Es hilft sich mit anderen Frauen auszutauschen. Dann sieht man, dass das eigentliche Problem meistens ein strukturelles ist: Ich verdiene zu wenig Geld. Ich muss so viel arbeiten. Ich habe einen doppelten-dreifachen Job: ich kümmere mich um die Kinder und um den Haushalt und um den Job und dann muss ich noch gut aussehen und dann muss ich das machen. Es sind immer größere Themen, die mitschwingen, wie Sexismus, Rassismus plus Klassismus… Deshalb würde es nicht helfen einfach ein Mal laut zu werden, um eine Gehaltserhöhung zu erzwingen. Es ist leider viel komplexer.
Auf jeden Fall. Wut ist keine unendliche Emotion und Kraft. Auf Dauer wütend zu sein, hat auch einen Preis, man ist extrem erschöpft. Wutmüdigkeit ist der Prozess, dass ich so viel wütend bin, dass ich einfach nur noch müde bin.
Interessanterweise ist Wut auch ein Ausdruck von Hoffnung. Wenn ich wütend bin, habe ich noch das Gefühl, etwas umkehren zu können, ich bin noch in Kontakt. Und dann gibt es eine Apathie, wenn man noch nicht mal mehr wütend. Man hat eigentlich aufgegeben. Solche Phasen haben wir alle mal. Hier hilft das soziale Umfeld und ein Gute-Laune-Film.
Wenn ich nicht wütend sein kann, kann ich auch nicht selbstwirksam sein. Wut ist ja ein Machtinstrument, weil ich sage, ich möchte etwas geändert haben, dann kriege ich es geändert. Wenn ich sehe, dass ich was bewegen kann, mache ich die Erfahrung, dass wenn ich wütend bin, kann ich was für mich oder andere tun. Ich bin wirksam, ich kann was verändern. Das gibt einem noch mehr Kraft.
Deshalb: Lerne zu sagen, warum du wütend bist. Finde einen guten Umgang mit deiner Wut. Finde einen Weg sie in die richtige Richtung zu lenken. Nutze sie als Antrieb und Energie, um was Gutes daraus zu machen, ob im Engagement, in der Kunst, in deiner Arbeit, in etwas, wo du Menschen verbindest oder bewegst oder etwas verbesserst. Gehe auf deine Wutreise!
Megan Vada Hoeder