Im Handwerk, in IT-, technischen und naturwissenschaftlichen Berufen arbeiten insgesamt weniger Frauen als Männer – daran hat sich seit Jahren nichts geändert. Das liegt unter anderem daran, dass Jungen und Mädchen schon früh, also in Schule und Kindergarten, in bestimmte Rollen gedrängt werden und Klischees bei der Berufsorientierung leider noch immer eine Rolle spielen. Doch wir finden: es gibt keine „typischen“ Männer- und Frauenberufe! Frauen können im Handwerk, Männer im Kindergarten ihre Berufung finden.
In unserem Feminar erzählen zwei Frauen, die in (noch) männerdominierten Branchen arbeiten, warum sie sich für ihre Arbeit entschieden haben, mit welchen Vorurteilen sie zu kämpfen haben und wie sie diesen begegnen. Natürlich möchten wir auch beleuchten, wie es Betrieben besser gelingen kann, Frauen für Berufe in Handwerk, IT oder Technik zu begeistern und wie wir selbst Stereotype hinterfragen und aufbrechen können.
Frauen und Männer verteilen sich sehr unterschiedlich auf verschiedene Berufe. Der Frauenanteil in sozialen und Gesundheitsberufen ist sehr hoch, in Branchen wie Bau, Naturwissenschaften oder IT sind Männer überrepräsentiert. MINT-Berufe, also Berufe in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, sind also nach wie vor „männerdominiert“.
Dass diese Ungleichverteilung auf verschiedene Berufe problematisch ist, wird vor allem deutlich, wenn die Gehaltsunterschiede zwischen den Branchen betrachtet werden. Frauendominierte Berufe sind meist schlechter, männerdominierte oft besser bezahlt sind. Das liegt an der Unterbewertung von Tätigkeiten, die oft als „typisch weiblich“ wahrgenommen werden. Dass das nicht stimmt, zeigt auch der Comparable Worth Index: Der CW Index ist ein statistisches Messinstrument, mit dem inhaltlich unterschiedliche Berufe hinsichtlich ihrer jeweiligen Arbeitsanforderungen und -belastungen geschlechtsneutral verglichen werden können. Obwohl eine Hilfskraft in Pflege und Gesundheit nach Maßstab des CW Index das gleiche Belastungs-und Anforderungsniveau wie z.B. Ingenieur*innen im Bereich Elektrotechnik erfüllt, erhält die Hilfskraft in der Pflege nur 40% des Stundenlohns eines Elektroingenieurs bzw. einer Elektroingenieurin. Mehr Infos zum CW-Index findet ihr hier.
Schon in der Schule zeigen Mädchen seltener Interesse an MINT-Fächern – dabei sollten wir bedenken, dass das Interesse für bestimmte Fachrichtungen aber auch mit der allgemeinen Sozialisierung zusammenhängt: welche Fähigkeiten und Interessen werden z.B. vom Elternhaus, von Lehrer*innen und Freund*innen gefördert oder wertgeschätzt?
Forscher*innen haben herausgefunden, dass Schülerinnen ihre eigenen Stärken, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im MINT-Bereich viel häufiger und stärker unterschätzen als Schüler. Und das bei gleicher Schulleistung!
Die Komplexität der Berufswahl und die vielen Möglichkeiten können außerdem dazu führen, dass Schüler*innen sich in ihrer Berufsorientierung auf Stereotype zurückwerfen lassen. Hinzu kommt, dass Jungen schon früh anerzogen wird, einen Beruf zu wählen, in dem sie viel Geld verdienen und eine Familie ernähren können, Mädchen wird dagegen häufiger geraten, sich für einen Beruf zu entscheiden, mit dem Familie und Job vereinbar sind.
Während ihrer Schulzeit hat Theresa verschiedene Praktika in allen möglichen Branchen absolviert, aber nie das Gefühl gehabt „das passt!“. Gleichzeitig hat sie immer mal wieder in der Firma ihres Vaters gearbeitet, um sich etwas dazuzuverdienen und nach der Mittelstufe ihr Abitur angefangen. Zufrieden war sie mit ihren Zensuren aber schnell nicht mehr – das Abitur zu machen empfand Theresa eher als Druck von außen, weil sie von verschiedenen Leuten zu hören bekam, dass das Abitur ein „Muss“ sei, um erfolgreich zu sein. Heute sieht sie das nicht mehr so und ist froh, ihren Weg gegangen zu sein.
In einer Seminararbeit für die Schule hat sie über die Arbeitserfahrungen auf der Baustelle in der Firma ihres Vaters geschrieben und davon geschwärmt, wie viel Spaß ihr die Aufgaben gemacht haben. Daraufhin hat Theresas Lehrerin sie angesprochen und gefragt, wieso sie nicht eine Ausbildung als Anlagenmechanikerin anfängt. Da hat es bei Theresa Klick gemacht und sie hat die 13. Klasse nach dem 1. Halbjahr, also nach Weihnachten, abgebrochen. Angefangen hat sie dann mit einem weiteren Praktikum im Lager der Firma, um die Teile, Maschinen und Materialien, die auf der Baustelle gebraucht werden, kennenzulernen. Im darauffolgenden August hat sie offiziell ihre Ausbildung zur Anlagenmechanikerin im Bereich Sanitär, Heizung und Klimatechnik angefangen. Nicht nur, dass ihr die Arbeit viel mehr Spaß machte, als die Schulbank bis zum Abitur zu drücken – Theresa konnte sich durch das halbe Jahr Arbeitsstunden sogar noch ihr Fachabitur Technik anerkennen lassen. Damit kann sie nach der Ausbildung auch noch an Fachhochschulen studieren, wenn sie darauf Lust bekommt.
Theresa sagt, dass ihre Lehrerin zu allen Schüler*innen ein gutes Verhältnis hatte und auf alle individuell ein-gehen konnte. Daher fiel ihr früh auf, dass Theresa sich für das Handwerk interessiert – und sie durch ihre Nachfrage zu dem Start der Ausbildung ermutigt. Lehrer*innen kommt also eine super wichtige Rolle zu, wenn es darum geht, die Talente und Interessen ihrer Schüler*innen zu erkennen und entsprechend zu fördern.
Auch Theresas Papa hat ihr früh eine Latzhose – ein Must-Have auf der Baustelle – geschenkt und sie oft mit zu Baustellen genommen, sodass Theresa früh den Arbeitsalltag und die Aufgaben in der Anlagenmechanik kannte. Ihr Interesse an handwerklichen Tätigkeiten wurde also schon früh gefördert und anerkannt.
Das kann Theresa ganz klar mir Ja beantworten. Sie sagt aber auch, dass Frauen es oft schwerer haben, weil sie von manchen männlichen Kollegen nicht ernstgenommen werden oder sich blöde Sprüche anhören müssen. Nicht auf den Mund gefallen zu sein, sich nicht alles gefallen zu lassen und sich zu trauen, andere in einer unangenehmen Situation um Hilfe zu bitten, hilft also in einer männerdominierten Branche.
Theresa hat auch ein Kolleginnen-Vorbild: Die Kollegin, mit der sie sich besonders gut versteht, hat ein enormes Fachwissen und wird regelmäßig von allen möglichen Leuten angerufen und um Rat gefragt. So viel Wissen und Erfahrung im Job möchte Theresa auch mal haben und dieses dann an jüngere Kolleginnen weitergeben.
Für Theresa fängt das schon im Kindesalter an: Jungen und Mädchen sollten spielen dürfen, mit was sie wollen, also Mädchen auch mit Autos oder Jungen mit Puppen. So können alle herausfinden, was sie mögen und wo ihre stärksten Interessen liegen.
Auf ihrem Instagram Kanal theresa_im_handwerk räumt sie außerdem mit Vorurteilen über ihren Beruf auf und ermutigt andere, sich für eine Ausbildung im Handwerk zu entscheiden. Bei Fragen hat sie auch immer ein offenes Ohr – schreibt ihr also gerne.
Theresa stören vor allem Werbeslogans von Firmen, die Frauen unrealistisch darstellen oder sexistisch sind. Sie fordert, dass Frauen so dargestellt werden, wie sie auch im Beruf auftreten: mit Berufskleidung, Werkzeugen und bei den Tätigkeiten, die tatsächlich zum Berufsalltag gehören. Vor allem aber, ohne Klischees zu bedienen.
Betriebe könnten auch weibliche Vorbilder in Schulen schicken, damit Schüler*innen mehr über den Beruf erfahren, ihre Fragen stellen können – und nicht zuletzt, damit auch Schülerinnen sehen, dass das Handwerk durchaus auch was für Frauen ist!
Dass Frauen im Betrieb sich gegenseitig unterstützen und Ansprechpartnerinnen füreinander sind, ist für Theresa auch sehr wichtig – und sollte auch von den männlichen Kollegen bzw. der Firma an sich begrüßt werden.
Lidie hat BWL studiert, obwohl sie eher Informatik oder etwas im Bereich Ingenieurswesen studieren. Schon früh hat sie sich für Technik interessiert und wollte wissen, wie Maschinen, IT und Co. funktionieren. Sie dachte sich immer, dass die Leute, die im Bereich IT etwas entwerfen super intelligent sein müssen, bewunderte diese Branche und wollte dazugehören. Sie sagt, dass sie „die digitale Welt“ mitgestalten will und schon früher wollte.
Bis zur 10. Klasse war Lidie auf der Hauptschule. Außerdem hat sie Ingenieurswesen mit viel Mathe und Physik verbunden und dachte, sie hätte durch ihre Schule große Lücken. Das hat sie abgeschreckt. Als sie dann Abitur machte, hatte sie einen sozialpädagogischen Schwerpunkt und hat Praktika im sozialen Bereich gemacht. Dass sie sich für ein BWL-Studium entschieden hat, lag letztlich dann an ihrem Sicherheitsbedürfnis: Lidie wollte finanziell unabhängig sein und dachte sich, mit BWL wähle sie eine sichere Bank.
Das BWL-Studium hat sie dann auch durchgezogen, obwohl ihr Interesse an Informatik nicht nachließ. Sie dachte sich aber immer noch, dass sie vielleicht „nicht gut genug“ für ein Informatik-Studium sei und wollte mit einem Abschluss und ersten Job im Bereich BWL auf Nummer Sicher gehen. Während des Studiums hat sie im Bereich Marketing gearbeitet und mit ihrer Kollegin oft über ihren Traum, eine Karriere im IT-Bereich anzufangen, gesprochen. Diese hat dann mit dem IT-Chef der Firma gesprochen und von Lidie und ihren Interessen, Talenten und Weiterbildungen im IT Bereich erzählt: An ihrem letzten Tag als Werkstudentin gab es dann tat-sächlich ein Bewerbungsgespräch und sie hat anschließend im Bereich IT-Produktmanagement angefangen. Nebenbei studiert Lidie heute noch Wirtschaftsinformatik – also genau das, was sie so lange machen wollte.
Lidie hat also positive Erfahrungen damit gemacht, dass Frauen einander unterstützen – oder sich gegenseitig den letzten, notwenigen Anstoß geben.
Eine Lehrerin hat Lidie in der 7. Klasse gesagt, dass sie ihren Abschluss sowieso nicht schaffen und später nichts erreichen würde. Sie sagt, dass sie das sehr geprägt hat – und sie deshalb jahrelang das Gefühl hatte, nicht gut genug zu sein und zu große Lücken in den für IT relevanten Fächern zu haben, um ihrem Traumberuf nachzugehen.
Ja, auch jetzt arbeitet Lidie vorrangig mit Männern zusammen. Der Bereich der IT-Dienstleistung ist eben noch sehr männlich geprägt – und auch gewisse Stereotype gegenüber den wenigen Frauen in der Branche bleiben nicht aus, sagt Lidie.
Auch Kommentare über das Äußere, angebliche „Komplimente“, hat Lidie schon öfter gehört, genauso werden sie und ihre weiblichen Kolleginnen oft unterschätzt. Lidie selbst sagt, dass es ihr schwer fällt, sich gegen solche Kommentare zu wehren, weil sie oft von der Situation überfordert oder einfach perplex ist. Auch die Hierarchie, die in solchen Situationen eine Rolle spielt, macht ihr oft Angst, sodass sie sich wünscht, dass alle Frauen die Möglichkeit haben, sich an Gleichstellungs- oder Antidiskriminierungsbeauftragte wenden zu können. Auch der Betriebsrat ist eine Anlaufstelle, an die sich von Sexismus oder Rassismus Betroffene wenden können.
Die SWANS Initiative ist eine Gruppe im deutschsprachigen Raum aufgewachsener Studentinnen, Absolventinnen und junger Berufstätige mit Zuwanderungsgeschichte, Schwarzer Frauen und Women of Color (BIWoC). Die Initiative setzt sich dafür ein, dass diese Frauen auch die Jobs bekommen, die sie sich verdient und erarbeitet haben. Dafür vernetzt SWANS die einzelnen „Schwäninnen“ miteinander, organisiert Schulungen zum Berufseinstieg und stellt eine Plattform dar, um sich auszutauschen.
Lidie ist dort Mitglied geworden und engagiert sich aktiv, weil sie von anderen Frauen lernen, ihr eigenes Wissen und ihre Erfahrungen aber auch an andere weitergeben möchte. Ihr ist es wichtig, ein Netzwerk zu haben, das sie versteht und in dem Frauen sich gegenseitig unterstützen
Lidie selbst hat noch keine Erfahrungen mit Fragen zur Familienplanung gestellt bekommen, macht sich aber Sorgen, dass sie – nachdem ihr befristeter Vertrag ausläuft und sie sich einen neuen Job suchen muss – diese Fragen in Bewerbungsgesprächen gestellt bekommt bzw. nicht eingestellt wird, weil die Arbeitgeber*innen befürchten, dass sie „sowieso bald ein Kind bekommt“.
Lidie sagt sofort: indem mehr Frauen aus diesen Bereichen sichtbar werden. Sie selbst versucht auch, ein Vorbild und eine Ansprechpartnerin für andere Frauen zu sein und teilt gerne ihre Erfahrungen, beantwortet Fragen und versucht, anderen die Angst vor MINT Fächern zu nehmen.
Das fängt für Lidie schon früh an: bereits ihre jüngeren Schwestern, die noch zur Schule gehen, konnte Lidie mit kleineren Programmier-Kursen für Kinder für das Thema begeistern und motivieren, ihre Interessen im IT Bereich weiter zu verfolgen.
Lidie findet, Unternehmen, Unis und Ausbildungsstätten sollten offener sein, auch Frauen in ihren Reihen zu begrüßen. Außerdem fordert sie alle Männer, v.a. in männlich dominierten Betrieben auf, sich selbst zu reflektieren und sensibler zu sein.
Zudem stimmt sie Theresa im puncto Werbung zu: Frauen sollten in der Außenwerbung eines Unternehmens sichtbar sein, aber unbedingt realistisch abgebildet werden und keine Stereotype bedienen. Außerdem sollten nicht nur Frauen ins Rampenlicht und die Männer in den Hintergrund gestellt werden – denn auch das ist eine unrealistische Darstellung (zumindest trifft das auf die meisten MINT-Unternehmen zu) und nutzt Frauen als Token und nicht als realistische Vorreiterinnen, wie sie tatsächlich existieren. Für Lidie ist diese übertriebene Darstellung von Frauen im Unternehmen eher negativ: Wie viele andere Frauen möchte sie an ihrer Leistung gemessen werden und nicht daran, ob sie eine Frau oder Schwarz ist. Einen Kommentar dazu, dass sie als Woman of Color doch eigentlich schon viel weiter oben auf der Hierarchie-Ebene stehen müsste, weil ihr „ja alle Türen offen gehalten werden“ findet sie unglaublich. Es gibt noch viel zu tun – und Frauenförderung bedeutet nicht automatisch eine Benachteiligung der Männer und einen einfacheren Aufstieg in der Karriereleiter für alle Frauen.
"Hört nur auf euch selbst! Lasst euch nicht von Lehrer*innen entmutigen, die euer Potential nicht erkennen und auch nicht von der Gesellschaft allgemein, wenn ihr als Mädchen lieber mit Autos als mit Puppen gespielt habt. Folgt euren Interessen und probiert euch aus. Ihr wisst selbst am besten, was ihr möchtet – auch, wenn es manchmal dauert, das herauszufinden (aber dafür ist Lidies Tipp (s.u.) hilfreich!)."
"Es braucht mehr Vorbilder in MINT-Berufen. Wenn ihr schon in einem MINT Beruf arbeitet oder eine Ausbildung oder ein Studium in dem Bereich macht, vernetzt euch mit anderen und gebt eure Erfahrungen weiter – das hilft nicht nur denen, die noch unsicher(er) sind, sondern auch euch, wenn ihr mal Fragen habt oder euch über eure Erlebnisse austauschen möchtet. Außerdem: was gibt es Schöneres, als sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen?"
Lidie Mambasa
Lidie Mambasa hat Betriebswirtschaftslehre in Essen studiert. Sie wollte von Anfang an lieber etwas im Bereich Ingenieurswissenschaften oder IT machen, hat sich aber nicht getraut und daher erst einmal BWL studiert. Nach dem Motto "besser spät als nie" ;) studiert sie nun nebenberuflich Wirtschaftsinformatik an einer Fernuni.
Lidie ist IT Consultant und arbeitet im öffentlichen Dienst im Kompetenzzentrum Digitalisierung. Dort unterstützt sie Kommunen und Städte in Nordrhein-Westfallen dabei, ihre Verwaltungsleistungen zu digitalisieren.
Außerdem ist sie Mitglied im SWANS Netzwerk, auf das sie eher zufällig gestoßen ist. Lidie sagt, dass sie ein recht schüchterner Mensch sei und dass sie in der angenehmen Atmosphäre bei SWANS ihre Comfort-Zone verlassen, aktiv andere Frauen unterstützen, aber auch von den anderen Frauen lernen kann.
Theresa Tauchert
Theresa Tauchert ist Auszubildende zur Anlagenmechanikerin Sanitär, Heizung und Klimatechnik. Sie trug schon als Kind gerne einen "Blaumann" und machte in der Firma ihres Vaters Praktika und Ferienjobs.
Auf Instagram macht sie darauf aufmerksam, wie vielseitig ihr Beruf ist, warum sie ihn trotz frühem Aufstehen und körperlich schwerer Arbeit gerne macht und dass Handwerk durchaus auch eine Branche für Frauen ist.