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Christina Stockfisch: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat ziemlich genau definiert, was sexualisierte Belästigung alles beinhaltet: dazu gehören unter anderem verbale Äußerungen, wie dreckige Witze oder sexistische Sprüche, aber auch physische Belästigungen wie unerwünschte Umarmungen und andere Berührungen. Auch eine anzügliche E-Mail oder das Aufhängen von pornografischem Material kann sexualisierte Belästigung sein.
Grundsätzlich ist es so, dass der oder die Betroffene entscheidet, was sexualisierte Belästigung ist. In dem Moment, in dem ein*e Beschäftigte*r sich sexuell belästigt fühlt, ist das vom AGG, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, abgedeckt. Ausschlaggebend ist laut AGG, ob die betroffene Person ihre Grenze überschritten und ihre Würde verletzt sieht. Es gibt da so ein Beispiel von einem Ausbilder, der seine erste weibliche Auszubildende in einem ziemlich männlich geprägten Betrieb hat und darüber so glücklich ist, dass er ihr den Arm um die Schulter legt und den anderen Azubis – alles Jungs – mitteilt, dass sie unter seinem ganz besonderen Schutz steht. Sie empfindet das als Belästigung. Er möchte sie aber eigentlich nur stärken und den anderen männlichen Azubis und Mitarbeitern zeigen, dass sie dazugehört und niemand sie „angreifen“ kann. Aber da das Verhalten des Ausbilders für die Betroffene belästigend war, ist sie in ihrer Beschwerde durch das AGG abgedeckt und das Verhalten fällt unter sexualisierte Belästigung. Das ist natürlich immer subjektiv und oft ist das belästigende Verhalten von der Person, die belästigt, gar nicht so gemeint. Da hilft dann manchmal schon ein klärendes Gespräch, wie in meinem Beispiel. Aber entscheidend bleibt, ob das Verhalten erwünscht ist oder ob sich jemand dadurch belästigt und unwohl fühlt.
Christina: Die Antidiskriminierungsstelle hat 2015 Zahlen veröffentlicht, die zeigen, das jede*r Zweite schon sexualisierte Belästigung im Arbeitsleben erlebt hat oder zumindest beobachtet hat. Aber ich glaube, dass die Dunkelziffer leider noch viel höher ist, weil es für so viele Betroffene sehr schwierig ist, sich auszusprechen. Daher lässt sich das schwer in Zahlen fassen. Hinzu kommt: obwohl wir gerade seit „#metoo“ viel mehr über Sexismus und sexualisierte Gewalt reden, bleibt es vielerorts ein Tabuthema. Viele Menschen denken einfach, dass es in ihrem Betrieb und in ihrem Umfeld nicht vorkommt.
Es gibt bestimmte Branchen, in denen sexualisierte Belästigung statistisch häufiger vorkommt – zum Beispiel im Gastronomiebereich oder in anderen Berufen, in denen es viel Kontakt mit Kunden und Kundinnen gibt, die ja auch als Belästiger*innen auftreten können. Es sind also nicht immer die eigenen Kolleg*innen, von denen die Übergriffe ausgehen. Fakt ist außerdem, dass bei sexualisierter Belästigung gegen Frauen häufiger auch Vorgesetzte die Täter*innen sind.
Spannenderweise zeigen die Zahlen der ADS-Studie auch, dass 49% der Frauen schon mal sexualisierte Belästigung erlebt oder beobachtet haben und 56% der Männer. Das zeigt, dass es kein frauenspezifisches Thema ist. Ich denke aber auch es gibt einen Gap zwischen jung und alt: Die jüngeren Generationen wollen mit Sexismus am Arbeitsplatz nicht mehr leben und benennen diesen daher auch öfter als ältere.
Christina: Fest steht: Aushalten bringt nichts. In den allerseltensten Fällen hört sexualisierte Belästigung von alleine wieder auf. Die meisten reden ja auch erst davon, wenn es etwas Wiederkehrendes ist und einzelne Vorfälle werden häufig als einmalige Grenzüberschreitung gesehen. Dabei sind auch diese einmaligen Kommentare oder Berührungen eine Belästigung. Viele denken sich auch, dass die Belästigung schon wieder aufhören wird – leider ist das oft nicht so. Es geht bei sexualisierter Belästigung eben nicht um Komplimente, sondern ganz klar darum, Macht auszuüben und teilweise auch darum, die andere Person in ihrem Selbstbewusstsein zu schwächen. Deshalb mein Appell: Du musst aktiv werden, du musst etwas tun! Es gibt dafür leider kein Patentrezept. Idealerweise gibt es eine Vertrauensperson, an die du dich wenden kannst: eine Kollegin, einen Kollegen, die du z.B. bitten kannst, das Verhalten der belästigenden Person zu beobachten. So hast du auch Zeug*innen. Außerdem ist wichtig, dass klar artikuliert wird, was du (nicht) möchtest: „Ich möchte nicht, dass du mich so anfasst!“ oder „Unterlasse bitte diese blöden Witze, ich fühle mich davon belästigt.“ oder auch „Schick mir keine E-Mails mit diesen Bildern mehr!“. Nein heißt nein – und dieses „nein“ zu formulieren ist der erste Schritt. Oft ist es auch so, dass das schon hilft. Subjektiv herrschen da eben unterschiedliche Grenzen und Empfindungen und du musst formulieren, was dich stört und was der- oder diejenige unterlassen soll. Wenn die Belästigungen regelmäßig auftreten, solltest du sie außerdem protokollieren.
Vielleicht schaffst du es nicht, dieses „nein“ selbst zu formulieren oder es wird ignoriert. Du kannst dich natürlich auch an deine Vorgesetzten und Arbeitgeber*in wenden – laut AGG ist es ihre Pflicht, sich um dein Anliegen zu kümmern und auch eine AGG-Beschwerdestelle einzurichten. Auch die*den Vorgesetzte*n der belästigenden Person kannst du direkt kontaktieren. In vielen Betrieben gibt es auch Betriebs- oder Personalräte oder Gleichstellungsbeauftragte, die im Fall von sexualisierter Belästigung aufgesucht werden können. Auch Kolleg*innen aus der Personalabteilung sind mögliche Ansprechpartner*innen. Egal, an wen du dich wendest: sie sind zur Diskretion verpflichtet und müssen dein Anliegen vertraulich behandeln.
Wenn du mit deinem*deiner Vorgesetzten oder einem*einer Vertreter*in aus dem Betriebsrat gesprochen hast, aber nichts passiert, hilft es, eine Frist zu setzen. Du darfst ganz klar einfordern: „Geben Sie mir bis zum Tag X eine Rückmeldung und teilen Sie mir mit, wie die nächsten Schritte aussehen!“. Du solltest diese Gespräche auch schriftlich festhalten oder z.B. die Frist per E-Mail mitteilen. So kannst du später nachweisen, welche Schritte du wann eingeleitet hast: Denn wenn nicht auf deine Beschwerde reagiert wird, kannst du dich als Gewerkschaftsmitglied an den DGB Rechtsschutz wenden, aber auch an jede*n andere*n Anwalt*Anwältin, weil es dann um arbeitsrechtliche Fragestellungen geht.
Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass dein*e Arbeitgeber*in trotz deiner Beschwerde untätig bleibt, kannst du – nach rechtlicher Beratung und Absicherung - gerichtlich durch eine einstweilige Verfügung das unerwünschte Verhalten untersagen lassen oder auch von deinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen – aber soweit muss es nicht kommen, das ist also die „allerletzte Konsequenz“. Hierfür muss u.a. nachgewiesen werden, dass dein*e Arbeitgeber*in deiner Beschwerde bzw. deinen Aufforderungen, etwas gegen die Belästigung zu tun, nicht nachgekommen ist. Denn dein*e Arbeitgeber*in hat ja laut dem AGG die Pflicht, dich (übrigens auch präventiv!) zu schützen und muss darauf hinwirken, dass die Belästigung unterbleibt.
Christina: Wenn du Gewerkschaftsmitglied bist, betreut dich der gewerkschaftliche Rechtsschutz in diesen Fragen. Wenn du nicht Gewerkschaftsmitglied bist, gibt es verschiedene unabhängige Ansprechpartner*innen, zum Beispiel Anwältinnen und Anwälte, Frauenberatungsstellen, das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, das Opfer-Telefon Weisser Ring e.V. oder die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Auch in deiner Stadt oder Kommune gibt es oft zahlreiche Anlaufstellen, damit du dich außerhalb deines Betriebes an jemanden wenden kannst, zum Beispiel das Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt unter Federführung der Senatsverwaltung Berlin. Du kannst dich im Internet schlau machen und schauen, welche Angebote es in deiner Stadt gibt. Die Hilfe- und Beratungsangebote umfassen telefonische Beratung, persönliche Unterstützung vor Ort, sowie finanzielle Hilfen.
Christina: Grundsätzlich ist es so: Du solltest dich jemandem anvertrauen. Und nein, das ist nicht selbstverständlich. Viele machen das eben noch nicht, weil sie sich nicht trauen und denken, sie müssen und können das aushalten. Hilfreich ist natürlich, wenn ein partnerschaftliches, wertschätzendes Betriebsklima herrscht, in dem Sexismus nicht toleriert wird und bei dem klar ist, dass du dich an jede*n wenden kannst. Dein Anliegen muss aber auch dann diskret behandelt und darf nicht an die große Glocke gehangen werden.
Bisher gibt es aber nur in einem Viertel der Betriebe Betriebsvereinbarungen zum Thema sexualisierte Belästigung. Da steht dann ganz genau drin, wer Ansprechpartner*in ist und welche Schritte wann eingeleitet werden. So wissen alle, worauf sie sich einlassen und was auf sie zukommt, wenn sie eine Belästigung benennen.
Es ist auch klar, dass viele Betroffene Angst haben, nicht gehört oder nicht verstanden zu werden. Aber deine Situation wird sich leider nicht verbessern, wenn du nichts tust. Und es kann nicht die Lösung sein, immer mit Angst oder einem schlechten Gefühl zur Arbeit zu gehen. Je länger du wartest, desto wahrscheinlicher ist, dass die Dinge doch eskalieren. Deshalb benenne Belästigung am besten direkt.
Christina: Als erstes gilt natürlich, dass Opfer geschützt werden. Gleichzeitig werden Täter*innen nicht per se vorverurteilt. Wenn du um ein Gespräch bittest und deine Situation schilderst, wird danach ein Gespräch mit der beschuldigten Person geführt. So ist sichergestellt, dass beide Seiten ihre Situation erklären können. Wie gesagt, manchmal kommt dann schon heraus, dass das belästigende Verhalten gar nicht beabsichtigt war und der*die Belästigende entschuldigt sich. Es kann aber auch sein, dass der*die Belästigende klare Handlungsaufforderungen auferlegt bekommt. Die Belästigung kann natürlich auch arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Grundsätzlich stehen dein Schutz und deine Interessen als Betroffene*r immer im Vordergrund.
Christina: Es gibt natürlich nicht den einen Fahrplan dafür. Aber eine mögliche Strategie hat der DGB verfasst: „Strategien einer aktiven Gegenwehr für Betroffene“ aus dem Handlungsleitfaden für betriebliche Interessenvertretungen „Sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz verhindern“. Es ist ungemein wichtig, dass es solche Leitfäden oder auch Musterbetriebsvereinbarungen gibt, denn wenn die Betriebs- und Personalräte oder auch Gleichstellungsbeauftragten neu gewählt werden, bringen sie ja nicht zwangsläufig eine Sensibilität und die relevanten Erfahrungen mit, die es braucht, um mit sexualisierter Belästigung umzugehen. Für alle Interessenvertretungen im Betrieb gibt es zudem Schulungen, in denen der richtige Umgang mit von sexualisierter Gewalt Betroffenen gelernt werden kann.
Außerdem würde ich jeder Interessenvertretung empfehlen: Macht eine Betriebsvereinbarung! Dann ist allen Beschäftigten klar, dass sexualisierte Belästigung bei euch nicht toleriert wird und vor allem geben solche Vereinbarungen allen Beschäftigten und auch den Interessenvertretungen und der Personalabteilung Handlungssicherheit. Außerdem wird in Handlungsleitfäden ein*e Ansprechpartner*in benannt, an die*den sich die Betroffenen wenden können – auch das ist oft ungemein wichtig für die Opfer, um die Belästigung überhaupt zu benennen. Wenn diese Ansprechperson dann auch noch für die Situation geschult ist und sensibel reagiert – umso besser.
Ein erster Schritt ist, wenn Unternehmen in ihrem „Code of Conduct“ festhalten, dass sie sexualisierte Belästigung nicht dulden. So wird zumindest deutlich, dass das Thema bekannt ist. Bestenfalls bleibt es aber nicht bei diesem „Lippenbekenntnis“ und es wird eine Art und Weise formuliert, wie dieser Verhaltenskodex umgesetzt werden soll.
Christina: Es ist natürlich erstmal eine super Idee, sich für ein Sexismus-freies und partnerschaftliches Betriebsklima einzusetzen. Du kannst dich an deine Personalabteilung wenden und fragen, welche Möglichkeiten und vielleicht auch Schulungen es für dich gibt, wenn du dir z.B. vorstellen kannst, als Vertrauensperson in solchen Fragen zu fungieren. Du kannst dich aber auch – alleine oder mit anderen Kolleg*innen – dafür einsetzen, dass eine Betriebsvereinbarung oder ein Handlungsleitfaden formuliert wird. Es hat auch nichts mit der Betriebsgröße zu tun – eine solche Vereinbarung kann in allen Betrieben verfasst werden. Manchmal braucht es eben eine*n Pionier*in, um ein Thema zu benennen und dafür Lösungen zu finden!
DGB