Foto: Steffen Baranski
Die Poetry Slammerin, Autorin und Feministin Ninia LaGrande darüber, was für sie Vereinbarkeit bedeutet.
Ich stelle mir vor, wie er vor der Klasse steht, irgendwas über Photosynthese erzählt und plötzlich Melanie aufzeigt und fragt: „Herr L., schön und gut, aber sagen Sie, wo ist eigentlich ihr Kind gerade?“ Klingt kurios? Nun gut – ich werde an zwei von drei Abenden gefragt, wo mein Kind eigentlich gerade sei. Weil ich es nicht mit zur Arbeit nehme. Und, weil ich nicht der Vater bin. Ich bin selbstständig und lebe von allem, was man mit Worten machen kann: Moderation, Schreiben, Poetry Slam... Dazu gehört, dass ich sehr viel unterwegs bin und in der Regel abends auf irgendwelchen Bühnen herumstehe und ein Publikum unterhalte. Mein Kind habe ich dabei nicht im Koffer versteckt, sondern ich lasse es zuhause. Beim anderen Elternteil. Bei dem Elternteil, das aus meiner Sicht – und auch aus seiner eigenen – zu ebenfalls fünfzig Prozent für das Kind zuständig ist. Als das Kind zehn Wochen alt war, hatte ich meinen ersten Job mit auswärtiger Übernachtung. Während ich also mit Milchpumpe und Moderationskarten in einem Kölner Hotelzimmer saß, schuckelte der Mann das Kind in einer hannoverschen Wohnung in den Schlaf. Nach der Moderation fragte mich eine Frau das unvermeidliche: „Und, wo ist Ihr Kind gerade?“ Und als ich ihr wahrheitsgemäß antwortete, rutschte ihr ein: „Na, Sie sind ja drauf!“ raus. Ich bin drauf? Ich bin höchstens auf Koffein. Und ansonsten eine Mutter im Jahre 2018, die versucht, sich die Care-Arbeit mit ihrem Partner gerecht aufzuteilen und für ihren Unterhalt und ihre Rente zu sorgen.
Natürlich haben sich Dinge geändert, seitdem das Kind da ist. Natürlich streiten wir. Natürlich sind diese fünfzig Prozent niemals wirklich fünfzig Prozent. Natürlich glauben sowohl der Mann als auch ich, dass wir irgendwie beide zu kurz kommen und jetzt aber auch mal ausschlafen wollen. Das ist normal. Aber wir versuchen mit viel Geduld ein Modell zu entwickeln, dass uns gleichberechtigt erscheint und mit dem beide zufrieden sind.
Von den neun Jahren Beziehung vor dem Kind haben wir sechs Jahre in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Wobei man sagen muss, dass der Mann dort gelebt hat und ich war ab und an zu Besuch. Um Wäsche zu waschen, einmal im eigenen Bett zu schlafen und den Rucksack umzupacken. Ich war nur unterwegs. Mein Büro war der Fensterplatz im Ruhewaggon der Deutschen Bahn und meine Küche hatte den Namen einer amerikanischen Fast Food Kette. Unsere Abmachung für den Haushalt war, jede*r macht das, was er*sie kann. War ich mal zuhause, wirbelte ich mit Scheuermilch und Schwamm durch das Bad und ließ mich vom Mann bekochen. Alles andere wurde getan, wenn es getan werden musste und in der Regel vom Mann.
Mit dem Kind musste ich auch mein Empfinden von Ordnung neu definieren. Und lernen, dass es ok sein muss, wenn sich im Wohnzimmer Playmobilautos und Bauklötze neben Kekskrümeln stapeln, während ich einfach mal auf dem Sofa sitze und eine Zeitschrift lese, der Mann danebenliegt und einen Podcast hört und das Kind – juhu – einmal sehr pünktlich eingeschlafen ist. Mit dem Kind mussten wir als Paar aber auch neu definieren, was Gleichberechtigung heißt. Durch meine Selbstständigkeit hat sich mir nie die Frage gestellt, wann ich wieder anfangen werde, zu arbeiten. Ich habe einen Monat nach der Geburt eine Abwesenheitsnotiz in meinen Mails gehabt. Danach saß ich wieder regelmäßig am Schreibtisch und kurze Zeit später bin ich auch wieder aufgetreten. Selbstverständlich nicht so intensiv wie früher, aber wenn ich ganz ehrlich bin, hat das Kind mich auch dazu gebracht, meine Einstellung zur Arbeit zu überdenken und nicht ins Schwitzen zu geraten, wenn ich E-Mails nicht innerhalb von einem Tag beantworten kann. Ich genieße es, inzwischen nicht mehr mit Zugverspätungen und Hotelreservierungen sondern mit Kitaterminen und Playdates zu jonglieren. Trotzdem liebe ich meinen Job und fühle mich nur ausgeglichen, wenn die Gewichtung zwischen Kind, Freizeit (und damit meine ich wirklich FREIZEIT) und Arbeit stimmt.
Der Mann und ich haben strikt getrennte Konten. Mit der Geburt unseres Kindes haben wir ein Haushaltskonto eröffnet, auf das wir beide monatlich einen festgelegten Betrag einzahlen und von dem Lebensmittel, Windeln und solche Anschaffungen bezahlt werden. Möbel, Urlaub und andere Dinge zahlen wir streng je zur Hälfte. Versicherung und Benzin für das kleine Auto zahlt er – weil ich es nicht benutze. Bei einigen Versicherungen nutzen wir einen Partnertarif, ansonsten sind wir sehr darauf bedacht, unser Geld für uns zu behalten und damit zu haushalten, wie wir lustig sind. Keine Frage – sollte sich ein Notfall ergeben, würde der eine Partner immer für den anderen aufkommen. Aber mit dieser Abmachung fühlen wir uns beide am sichersten. Umso romantischer ist dann nach über zehn Jahren Beziehung immer noch der Satz: „Zusammen!“, wenn wir einander im Café mal einladen. Ja, tatsächlich zahlen wir auch hier sonst häufig getrennt, was schon zu zahlreichen verwirrten Blicken konservativer Servicekräfte geführt hat, die immer kommentarlos dem Mann die Rechnung auf den Tisch legten.
Als wir dieses Jahr geheiratet haben, habe ich immer scherzhaft gesagt, es sei für mich als freischaffende Künstlerin ein Glücksfall diesen verbeamteten Lehrer jetzt ehelichen zu können. Weil man bei der Wohnungssuche als Staatsdiener durchaus ernster genommen wird als als Dienerin der schönen Poesie. Tatsächlich bringt es mir nicht mehr, außer einer Urkunde, auf der steht, dass ich jetzt auch offiziell verliebt bin und einen Ring, über den ich mir morgens keine Gedanken mehr machen muss, ob er zum Outfit passt. Wie gerne hätte ich gesagt, dass wir das wegen der Steuer gemacht hätten. Haben wir aber nicht. Das Ehegattensplitting bleibt für uns ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert (hierzu gibt es ein interessantes Video bei #Deutschland3000 von Eva Schulz), das uns als Gleichverdiener überhaupt keine Vorteile beschert. Und so hatten wir vor der Ehe Pflichten (füreinander aufkommen, wenn eine*r arbeitslos ist zum Beispiel) und keine Rechte und jetzt haben wir ein bisschen mehr Rechte und immer noch Pflichten, aber keine Vorteile. Und so kitschig es klingt: Dann heiratet man doch wieder nur für die Liebe, behält sein Konto für sich und hofft, dass es irgendwann zumindest steuerlich für alle Paare und Alleinerziehenden Vorteile gibt.
Die Hochzeit hat also rein gar nichts geändert – nicht einmal unsere Nachnamen. Wir versuchen weiterhin, alles möglichst gleichberechtigt aufzuteilen, auch wenn ich weiterhin diejenige bleibe, die für alles die imaginären Fäden in der Hand zu haben scheint. Ich bin die CEO unserer Familie. Ich weiß, wer wann neue Schuhe braucht, welche Termine in der Kita anstehen und ich sorge für Notfallbetreuung, wenn beide Elternteile außer Haus sind. Da sind also auch wir immer noch nicht gerecht aufgestellt. Wer sich hier angesprochen fühlt oder jetzt denkt: „Na, ich koche zwar nicht, dafür kümmere ich mich um die Winterreifen!“ Der oder die sollte sich bewusst machen, dass ein Auto nicht jeden Tag Winterreifen braucht und sich mit dem Stichwort Mental Load beschäftigen. Die Bloggerin Patricia Cammarata hat dazu einen tollen Vortrag gehalten.
Der Begriff „Vereinbarkeit“ umfasst für mich nicht nur Familie und Beruf. Gelungene Vereinbarkeit bedeutet, dass ich alle Bereiche meines Lebens in dem Maße abdecken kann, in dem ich das will. Und dass ich dabei finanziell nicht nur heute, sondern auch in Zukunft genügend abgesichert bin. Dass sich alle in meiner Familie mit den Abmachungen wohl fühlen. Ich bin davon überzeugt, dass von einer gelungenen gleichberechtigten Fürsorge- und Versorge-Aufteilung alle Beteiligten nur profitieren können. In meiner Situation ist das einerseits besonders flexibel – durch meine Selbstständigkeit – und besonders herausfordernd – durch meine Selbstständigkeit. Im Gegensatz zum Mann habe ich keine festen Arbeitszeiten. Ich sitze vormittags am Schreibtisch und bin abends – manchmal auch den ganzen Tag – auf einer Bühne. Das bedeutet auch, dass es ohne annährend gleichberechtigte Fürsorge gar nicht möglich ist, unser Modell zu leben. Ein Ausbalancieren bleibt es trotzdem. Ein Ausbalancieren, das in den Wintermonaten dank Grippeviren und Mittelohrentzündungen immer wieder gefährlich wackelig wird. Aber bis jetzt haben wir auch das immer hinbekommen – und wenn Gleichberechtigung in diesem Fall auch mal bedeutet, dass alle erkältet in Decken auf dem Sofa rumlümmeln.