Deutscher Gewerkschaftsbund

Männer können's auch

Gastbeitrag von Susanne Mierau

Vater füttert Baby

DGB/123rf.com/Jozef Polc

Wenn es um die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit geht, ist das in Deutschland vorherrschende Modell noch immer das des Vaters in Vollzeit und der Mutter in Teilzeit, die sich um die Familienarbeit kümmert. Das hinterlässt Spuren: Viele Frauen haben kein existenzsicherndes Einkommen, geraten in wirtschaftliche Abhängigkeit und sind von Altersarmut bedroht. Doch auch wenn viele Paare es sich anders wünschen: Warum verfallen wir immer wieder in die klassischen Rollenmuster? Weil Frauen einfach besser zur Kinderbetreuung geeignet sind?

Kinder brauchen Zuwendung – nicht zwangsweise durch Mütter

Das prompte Eingehen auf die Bedürfnisse von Babys ist wichtig für ihre Entwicklung. Sie sollten sich sicher, umsorgt und geschützt fühlen. Das erreichen wir, indem Bezugspersonen erreichbar sind und Signale wahrnehmen, angemessen interpretieren und darauf passend reagieren. So können sie eine sichere Bindung aufbauen und haben einen guten Start ins Leben. Wer allerdings das Kind in dieser Weise umsorgt, ist nicht von so großer Bedeutung, wie wir es oft denken. Denn: Bis auf das Stillen – sofern sich eine Gebärende dafür entscheidet – ist die Umsorgung des Kindes durchaus von verschiedenen Personen machbar. Und selbst wenn Muttermilch als Nahrungsquelle auserwählt wird, kann diese abgepumpt oder ausgestrichen mit Flasche oder Becher auch von einer anderen Person gefüttert werden.

Aber haben Mütter nicht einen besonderen Instinkt und sind feinfühliger, liebevoller und entspannter? Obwohl all dies der Mutterrolle so oft zugeschrieben wird, ist das nicht zwangsweise der Fall. Wir wissen heute, dass es kaum Unterschiede zwischen Müttern und Vätern gibt in Bezug auf den hormonellen Einfluss auf das Fürsorgeverhalten. Und auch gleichgeschlechtliche Paare können sich nicht nur liebevoll um die Kinder kümmern, sondern sind auch hormonell darauf eingestimmt, sie passend zu umsorgen, wie die Chemikerin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim in einem ihrer erfolgreichen YouTube Videos kurz zusammenfasst. Gebärende haben durchaus zunächst einen speziellen Hormoneinfluss, der den Aufbau einer ersten Bindung beeinflusst. Daher ist es gut, wenn die Zeit unmittelbar nach der Geburt nah miteinander verbracht werden kann. Manchmal geht dies aber beispielsweise nach einer komplikationsreichen Geburt nicht. Dann wird das Band der Bindung etwas später aufgenommen. Auch das ist vollkommen in Ordnung für den Bindungsaufbau.

Väter können’s auch

Und ebenso wird auch bei anderen nahen Bezugspersonen – wie den Vätern – Bindung hergestellt, unabhängig von der Geburt. Väter verzeichnen oft schon während der Schwangerschaft Veränderungen in ihrem Hormonhaushalt. Das Hormon Prolaktin, das wir insbesondere in Zusammenhang mit der Milchbildung kennen, kommt auch bei Männern vor und unterstützt das Pflegeverhalten. Ist das Baby auf der Welt, sprechen Väter wie Mütter mit einer höheren Stimme und besonderen Sprachmelodie, die es dem Kind erleichtert in Kommunikation zu kommen. Auch Väter haben den Impuls ein weinendes Baby auf den Arm zu nehmen, müssen ebenso wie Mütter das Wickeln erst einmal lernen und sind ebenso wie Mütter am Anfang unsicher, wie genau ein Baby z.B. in einer Babytrage getragen wird. Babys können von Müttern wie Vätern liebevoll umsorgt werden und es gibt in ihrem Verhalten nur wenige Unterschiede.

Natürliche Mutterschaft ist eigentlich nur Sozialisation in einem patriarchalen System

Deutlich wird: Kinder können liebevoll und passend von verschiedenen Menschen umsorgt werden und es ist nicht die Mutter, die von Natur aus besser dafür ausgestattet wäre. Dennoch hält sich das Bild hartnäckig, weil wir es seit Jahrhunderten so erlernt haben. Durch die Sesshaftigkeit und den damit einhergehenden veränderten Lebensbedingungen fing der Weg zur “Alleinumsorgerin Mutter” an: Die Gebärfähigkeit verlagerte sich in jüngere Jahre. Patriarchale Erbregeln banden die Frauen noch mehr an das Haus, um die eigene Nachkommenschaft zu sichern. Der Alltag von Frauen und Männern wurde getrennt und Männer von der Versorgung des Nachwuchses abgespalten, also der Fürsorglichkeit entfremdet. Religiöse Einflüsse und der weitere Ausbau des Patriarchats banden Frauen immer mehr an die häuslichen Aufgaben, die ihnen schließlich durch Rousseau und Pestalozzi als natürlich zugeschrieben wurden. Der Gedanke, dass Mütter besser Kinder umsorgen könnten – und dies auch noch allein tun sollen – hat sich über die Jahrhunderte in uns festgesetzt, obwohl die Wissenschaft längst anderes belegt hat.

Wie das alles mit wirtschaftlicher Unabhängigkeit von Frauen zusammenhängt

Wir können uns also eigentlich ruhigen Gewissens von dem Mutterbild lösen, dass wir als Mütter besser Kinder umsorgen könnten, dieses jederzeit geduldig und gern tun würden und unsere Priorität immer das Kind sei. Es ist okay, wenn die Kita anruft, den Vater vorbei zu schicken. Es ist in Ordnung, nicht immer verzückt zu sein und als Mütter wissen wir nicht zwangsweise, was besser für das Kind ist. Leider ist es nicht ganz so einfach gegen die inneren Stimmen, die sich in uns festgesetzt haben und das Einhalten des Mutterbildes fordern, zu arbeiten. Es hilft allerdings sich diese Fakten immer wieder vor Augen zu führen und mit dem anderen Elternteil ins Gespräch zu kommen: Es gibt keinen Grund in Bezug auf das Wohlergehen des Kindes, weshalb Mütter mehr Elternzeit nehmen sollten als Väter. Es gibt keinen Grund in Bezug auf einen guten Start ins Leben, weshalb Frauen den Anschluss auf dem Arbeitsmarkt verlieren sollten und ihre eigene Karriere zugunsten der Karriere des Vaters aufgeben müssten. Es gibt keinen Grund in Bezug auf die Bindung des Kindes, weshalb Mütter ihre Altersvorsorge aus dem Blick verlieren sollten. Kinder brauchen Liebe und Zuwendung – von ihren Eltern, die ihre Zeit gerecht aufteilen können und sollten, damit das Kind auch zu beiden Eltern eine gute Beziehung aufbauen kann. Kinder sollen erfahren, dass die sozialisierten Rollenvorstellungen endlich überwunden werden. Vielleicht wird es in der nächsten Generation dann schon etwas einfacher.

Susanne Mierau

DGB / Katja Vogt